"Wir sind alle TerroristInnen" - 16.12.2007
Ein verspäteter Bericht über eine Veranstaltung die viel zu interessant war, um sie unerwähnt zu lassen: der Titel "Wir sind alle TerroristInnen" machte die Wichtigkeit des Themas deutlich. Die Veranstaltung am Sonntag, dem 16.12.2007 in der sehr gut gefüllten Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz führte an vier konkreten Fällen aus, wie man in den Augen von Verfassungsschutz und Justiz vom einfachen Aktivisten zum Kopf einer terroristischen Vereinigung werden kann. Von l'etat n'est pas moi
Es ist unmöglich für mich alle Details dieser umfangreichen Gesprächsrunde zu reproduzieren, aber ich bemühe mich die Aspekte wiederzugeben die mir im Gedächtnis geblieben sind.
Der Fall des Berliner Sozialwissenschaftlers Andrej H., der aufgrund seiner Wortwahl verdächtigt wurde, ein Mitglied der "militanten gruppe (mg)" zu sein, dürfte den meisten Teilnehmern bekannt gewesen sein, die detailreichen Ausführungen der anderen drei Betroffenen waren sicherlich für viele neu.
Geschildert wurde auch der Fall der Berliner Initiative "Libertad!", die seit mehreren Jahren (2001-2007) überwacht wird, was sie selbst inmitten dieser Observationen durch einen Bericht des Focus im Jahr 2003 erfahren haben. Wie es dazu kam, dass Journalisten die Details dieser Maßnahmen noch vor den Betroffenen erfahren haben, wurde leider nicht erklärt. In einem anderen Fall wurden dem Betroffenen die Mehrkosten für die Telefonüberwachung (sicherlich irrtümlich) in Rechnung gestellt. Inwiefern dies Ermittlungspannen oder bewusste Einschüchterungsmaßnahmen sind, ist nur spekulierbar.
Interessant an allen vier Fällen ist die Tatsache, dass sich aus den vier Verfahren für die ermittelnden Behörden 40 Beschuldigte ergeben haben, in deren Zusammenhang insgesamt 2000 Personen von Überwachungsmaßnahmen (d.h. in Telefonüberwachungs- oder Observationsprotokollen erfasst) betroffen sind, was de fakto bei einem Durchschnitt von 50 Personen pro Beschuldigten bedeutet, dass in aller Regel der gesamte Kreis an Freunden und Bekannten mit denen regelmäßiger Kontakt gepflegt wird, erfasst wird. Diese Zahlen geben insbesondere wieder, wie systematisch die Durchleuchtung der linken Szene stattfindet, ohne je vorzeigbare Ergebnisse liefern zu können. Bezeichnend hierfür sind auch die Parallelen in Bezug auf die angefertigten Sprachanalysen, die durch einen Vergleich der von den Beschuldigten bzw. deren Organisationen verfassten Publikationen, und den Bekennerschreiben der militanten gruppe eine etwaige Autorenschaft herleiten sollten. Dies scheiterte in allen Fällen größtmöglich.
Ein weiterer Aspekt, der unter den Teilnehmern Aufsehen erregte, waren die Definitionen der ermittelnden Behörden für "konspiratives Verhalten": Nimmt, wie in einem Falle, eine Organisation nicht an einem Treffen linksgerichteter Gruppen teil, so bedeutet dies für die Ermittler ein "auffällig unauffälliges Verhalten", welches einen weiteren Verdachtsmoment liefert. Spricht ein Beschuldigter am Telefon nicht deutlich über Treffpunkt und Uhrzeit mit einem Freund, so ist dies auch Anlass an ein "konspiratives Treffen" zu glauben. Für einen Bad Oldesloer Antifaschisten, der durch eine Auswertung der eingebuchten Handies in der Zelle eines Brandanschlags in das Netz der Beamten geriet, führte das Wissen um die Ermittlungen zur Nervosität, falls unterwegs sein Handyakku schlappmachte - könnte dies doch für die Behörden bedeuten, dass er das Telefon absichtlich abschaltete, in der Hoffnung der Überwachung während eines Treffens zu entgehen.
Es war eine weitere desillusionierende Erfahrung, das zu hören was für einige politische Aktivisten Alltag geworden ist - Repression und Überwachung. Die politische Opposition wird von den Behörden zunehmend als Gefahr für die "innere Sicherheit" und den "öffentlichen Frieden" gesehen, mit entsprechenden Folgen für die Beteiligten. Doch das Schlusswort aller Podiumsteilnehmer war identisch: man wolle sich nicht einschüchtern lassen, und mit dem politischen Engagement weitermachen wie zuvor.