Von der heimlichen Onlinedurchsuchung zur heimlichen Hausdurchsuchung
Am Abbau rechtsstaatlicher Schutzvorschriften wird nicht nur an der virtuellen Front gearbeitet
Von den Kritikern der Onlinedurchsuchung wird oft als Argument eingebracht, dass es ja auch keine heimlichen Hausdurchsuchungen gäbe. Auch das BKA sieht darin ein Problem – eines, das man auch auf der Hausdurchsuchungsseite angehen könnte.
Niedersachsen will Hausdurchsuchungen ohne Richtervorbehalt
Bei der Debatte um die Onlinedurchsuchung wird häufig der möglicherweise fehlende Richtervorbehalt bemängelt. Allerdings ist solch ein Richtervorbehalt oftmals nur ein scheinbarer Schutz. In einer erschrecken hohen Anzahl von Fällen werden Anträge auf richterliche Beschlüsse abgesegnet, die mit schweren Mängeln behaftet sind. Ein am Max Planck Institut erstelltes "Gutachten zur Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100 a, 100 b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen" ergab beispielsweise, dass lediglich 23,5% der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen substantiell begründet waren.
"Bei 55% der untersuchten Fälle verwendete der Richter zur Begründung Vordrucke, konnte aufgrund des fehlenden Beschlusses keine Bewertung vorgenommen werden oder stellte die Begründung eine Kombination aus den staatsanwaltlichen Begründungen, Gesetzesformeln und Verweisen dar. Bei 21% der Beschlüsse entsprachen sich richterliche und staatsanwaltliche Begründung, bei 15% wurde nur eine Gesetzesformel verwendet, bei 9% handelte es sich um Verweise, z. B. auf ältere Beschlüsse. Die Untersuchung stellt auch fest, dass die richterlichen Begründungen dann substanzieller werden, wenn dies auch bei den staatsanwaltlichen Begründungen der Fall ist, die wiederum substanzieller werden, wenn auch die polizeilichen Ausführungen/Anträge substanzieller sind. Bei Verlängerungen oder Folgemaßnahmen von TKÜ-Anordnungen fand im Grunde überhaupt keine weitere Begründung statt. In 70% aller Fälle erging der richterliche Beschluss einen Tag nach der polizeilichen und dann staatsanwaltlichen Antragstellung."
Dennoch stellt der Richtervorbehalt gerade hinsichtlich der Überwachungsmaßnahmen für die meisten Kritiker immer noch eine Hürde dar, die es zu schätzen gilt – und an der kräftig gerüttelt wird.
Bereits 2005 wurde in Niedersachsen ein Gesetz eingebracht, das den Richtervorbehalt bei Verdacht auf Verstöße gegen den Meisterzwang abschaffen soll. Die zuständigen Behörden sollen so das Recht erhalten, Personen sowie Unterlagen direkt in den Geschäftsräumen der Arbeitgeber und Auftraggeber zu überprüfen. Bemerkenswert an dem von den Medien größtenteils ignorierten und derzeit im Bundestag "auf Eis" liegenden Gesetz ist vor allem, dass es hier nicht etwa um schwere Straftaten geht, sondern in der Regel um Ordnungswidrigkeiten.
Heimlichkeit und Nichtanwesenheit des Betroffenen
Einem anderen Argument gegen die Onlinedurchsuchung, der Heimlichkeit, begegnete das BKA laut einem Spiegelbericht nun mit der Forderung nach einer heimlichen Hausdurchsuchung. Zwar wurde diese Meldung mittlerweile insofern dementiert, als es sich laut einer nachgeschobenen Ergänzung des Amtes lediglich um "eine Analyse organisatorischer, personeller, technischer und rechtlicher Probleme am konkreten Fall" handelt, "die als Grundlage für weitere Beratungen dienen soll" – aber dafür nahm Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann den vom BKA zugespielten Ball auf und sprach sich klar für eine solche heimliche Hausdurchsuchung aus: "Bei einer terroristischen Bedrohungslage muss es möglich sein, auch ohne das Wissen der Betroffenen Wohnungen zu durchsuchen" argumentierte der CDU-Politiker und verwies auf Probleme bei der Fahndung nach den im Sauerland festgenommenen drei als islamistische Terroristen Verdächtigten.
Auf gewohnt absurde Weise wird auch mit Bezug auf die heimliche Durchsuchung argumentiert, dass man sich ja sonst einer Hausdurchsuchung entziehen könne indem man abwesend sei. Dass eine Hausdurchsuchung nicht "heimlich" durchgeführt wird, heißt jedoch nicht, dass der Betroffene vor Ort sein muss. Die geforderte "Offenheit" bedeutet lediglich, dass überhaupt jemand außer den Strafverfolgern vor Ort ist und der Betroffene informiert wird. Ist der Wohnungsinhaber nicht zuhause, dann reicht es, einen Nachbarn als Zeugen hinzuzuziehen. Das Argument entpuppt sich also bei näherer Betrachtung als Nebelkerze, die den Eindruck erwecken soll, dass die Offenheit der Hausdurchsuchung ein Problem darstellen würde.
Es ist bereits das zweite Mal, dass das BKA die Forderung nach heimlichen Hausdurchsuchungen dementiert. Beim ersten Mal ging es darum, dass BKA-Chef Ziercke in einem Interview zur Onlinedurchsuchung davon sprach, dass seine Behörde heimlich in die Wohnung eindringen und dort einen Trojaner installieren könnte. Dieses Interview bezeichnete er später als "unautorisiert" und definierte die Idee der Onlinedurchsuchung als Einsatz einer Remote Forensic Software, welche nach Meinung von Fachleuten vieler eher dem Wunschtraum des BKA als real einsetzbaren Programmen entspricht. Die Software, die Ziercke vorschwebt, soll den Kernbereich der privaten Lebensführung nicht antasten indem sie nur bestimmte Dateien oder Dateitypen sucht, ohne Rückstände wieder bei Entdeckung deinstalliert werden können, individuell auf den einzelnen Rechner zugeschnitten und so entwickelt sein, dass Antivirensoftware oder Firewalls sie nicht ausbremsen.
(Bettina Winsemann)