Im Wanderkessel durchs Viertel

Rund 4500 Teilnehmer bei bundesweiter Demonstration gegen Überwachung in Hamburg. Von Martin Kröger, Hamburg

In Hamburg protestierten am Samstag rund 4500 Teilnehmer einer Großdemonstration gegen »Sicherheitswahn« und »Überwachungsstaat«. Am späten Abend kam es zu Ausschreitungen im Schanzenviertel.

Achim Schneider ist perplex. »So ein krasses Polizeispalier habe ich noch nie gesehen«, bekennt der Jungakademiker, der erst vor kurzem nach Hamburg gezogen ist, um ein Praktikum zu machen. Dabei sei er aus seinen Berliner Studententagen einiges an Polizeieinsätzen gewohnt, sagt Schneider; eine solche Präsenz von Wasserwerfern, Panzern und Einsatzhundertschaften empfindet er jedoch als einschüchternd.

Vor dem Zeitungspraktikanten schieben sich indessen in einem Wanderkessel die 4500 Teilnehmer der »Antirepressionsdemo« mit dem Motto »Don`t let the System get you down! – Gegen Sicherheit und Überwachungsstaat« durch das Hamburger Schanzenviertel. Flankiert werden die Demonstranten von rund 2500 Beamten aus mehreren Bundesländern. Behelmte Einsatzhundertschaften begleiten den Aufzug von Beginn an mit einem engen Spalier.

Die Demonstration, die sich gegen die Durchsuchung von linken Projekten in diesem Jahr und die vier derzeit laufenden Verfahren gegen linke Aktivisten aufgrund des »Anti-Terror-Paragrafen 129a« sowie die zunehmenden Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen des Staates richtet, war im Vorfeld von der Versammlungsbehörde mit rigiden Auflagen belegt worden. Unter anderem war untersagt worden, Seitentransparente mit einer Länge von über 1,50 Meter mitzuführen. Erst kurz zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht überhaupt eine Route genehmigt. Wobei die Innenstadt – wie es in der Hansestadt seit einigen Jahren üblich ist – für die Demonstration zur Tabuzone erklärt worden war: Das Weihnachtsgeschäft solle unbehelligt bleiben, hatten die Richter erklärt.

»Wir sind hier, um für die Abschaffung des Paragrafen 129a zu demonstrieren«, sagt Christoph Kleine von der Gruppe »Avanti – Projekt undogmatische Linke«. Das norddeutsche Netzwerk hat gemeinsam mit anderen Gruppen einen eigenen Block auf die Beine gestellt. Die Aktivisten rund um den Lautsprecherwagen tragen weiße Overalls mit Aufschriften wie »Panzeranzünderin« oder »Papierlose«. Andere haben sich als »Unschuldsengel« maskiert. Aus den Boxen wummert elektronische Musik. »Wir wollen ein offenes Angebot an die Bevölkerung machen«, erklärt Kleine die in seinen Kreisen ungewöhnliche Musik und die bunten, lockeren Kostümierungen. Gegen die zunehmene Überwachung, gegen Verfolgung und Repression könne nur etwas erreicht werden, wenn es gelinge, ein breites gesellschaftliches Bündnis zu organisieren.

Während im hinteren Teil der Demonstration auch tatsächlich eine bunte Mischung von Alternativen, Studenten und Bewohnern des Viertels mitläuft, wird der vordere Teil durch einen Schwarzen Block von Autonomen in dunklem Outfit dominiert – in der ersten Reihe haben sich jedoch auch ältere Menschen mit Linkspartei-Fahnen eingereiht, um einen Puffer zwischen Demonstranten und Polizei zu schaffen.

Zu Polizeiübergriffen kommt es bis zur Auflösung des Marsches dennoch immer wieder: Am Neuen Pferdemarkt wird ein Demonstrant durch einen Schlagstock am Ohr schwer verletzt. Aus den Reihen der Protestierer fliegen Gegenstände und Böller auf die Polizisten. Nach drei Kilometern und viereinhalb Stunden löst die Demo-Leitung der Linken den Aufzug auf. Man habe Kenntnis bekommen, dass die Polizei einen erneuten Angriff plane, heißt es.

Der Protest ist an diesem Tag jedoch noch nicht beendet: Hunderte Demonstranten ziehen am Abend durch die City und nehmen dort unter anderem mit einem eigenen Transparent und Sprechchören an einer von Passanten viel beachteten Weihnachtsprozession in der Mönkebergstraße teil.

Gegen 23 Uhr kommt es im Schanzenviertel zu Ausschreitungen: Vermummte Jugendliche werfen die Scheiben einer Bank ein, später wird eine von der Gruppe errichtete Barrikade angezündet. Nach Polizeiangaben wurden im Tagesverlauf 30 Personen fest- und 109 kurzfristig in Gewahrsam genommen.