Bilanz der Bundesanwaltschaft
Die Generalin an der Schweigemauer
Von Philipp Wittrock, Karlsruhe
Islamistischer Terror, militante Linke - es war ein unruhiges Jahr für die Generalbundesanwältin. Nun muss sich Monika Harms auch noch mit lange zurückliegenden Morden befassen. Bei neuen RAF-Ermittlungen stößt sie auf schweigsame Zeugen und einen mauernden Geheimdienst.
Karlsruhe - Der Saal im vierten Stock der Bundesanwaltschaft, dieser Trutzburg hinter hellen, meterhohen Mauern mitten in Karlsruhe, er ist nach Siegfried Buback benannt. Zum zweiten Mal hat die oberste Anklägerin der Republik Journalisten hierher geladen, um ihre persönliche Bilanz des Jahres zu ziehen. Transparenz ist ihr wichtig, das hat Monika Harms immer betont, seit sie vor rund anderthalb Jahren als erste Frau die Leitung des zuvor so verschlossenen, von Männern dominierten Hauses übernommen hat.
Mit dem Siegfried-Buback-Saal würdigt die Anklagebehörde einen von Harms Vorgängern, den Terroristen der Rote Armee Fraktion (RAF) dereinst in Karlsruhe ermordet hatten. Drei Jahrzehnte ist das nun her, die Generalbundesanwältin und ihre Mitarbeiter haben den Opfern des Attentats im April gedacht, doch dass sie der Mordanschlag in ihrer aktuellen Arbeit noch einmal derart in Atem halten würde, dass es kaum einen passenderen Ort als den Buback-Saal für diese Pressekonferenz geben könnte, damit hat 61-Jährige nicht gerechnet.
Monika Harms kann sehr ernst dreinschauen, ihre Augen unter dem strengen Mittelscheitel kneift sie dann zusammen, als würde sie direkt ins Sonnenlicht schauen. "Die RAF ist Geschichte, doch die furchtbaren, feigen Taten beschäftigen uns bis heute, aus gutem Grund", sagt die "Generalin" im dunklen Anzug. "Die tiefen Verletzungen durch die Taten sind weder verheilt noch vergessen."
Das frühere RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock hatte just um den Jahrestag des Buback-Mordes einiges ins Rollen gebracht mit Aussagen zu den damaligen Tätern, die zwar im Kollektiv zur Verantwortung gezogen wurden, deren individuelle Schuld aber nie geklärt wurde. Nach Boocks Einschätzung soll Stefan Wisniewski als Sozius auf dem Tatmotorrad die tödlichen Schüsse abgegeben haben. "Abgeleitetes Wissen", nennt Harms' Stellvertreter Rainer Griesbaum, Leiter der Terrorismus-Abteilung, das heute. Denn Boock war damals persönlich nicht dabei. An seiner Glaubwürdigkeit gibt es zumindest immer wieder Zweifel.
Bundesanwaltschaft beantragt Beugehaft gegen Ex-RAFler
Doch der Anfangsverdacht ist da, die Bundesanwaltschaft ermittelt seit April gegen Wisniewski. "Auf halber Strecke" sei man nun, "wenn überhaupt" - so betont Harms jetzt, wie aufwendig es sich für die Ermittler gestaltet, die Geschichte wieder aufzurollen. Zehn ehemalige RAF-Aktivisten hat die Bundesanwaltschaft inzwischen befragt. Doch mit Ausnahme von Boock hat die alte Mauer des Schweigens der RAF noch keine Risse bekommen. Die Terroristen von einst schweigen.
Bei einigen allerdings will die Behörde ein Aussageverweigerungsrecht nicht akzeptieren. Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Knut Folkerts und Günter Sonnenberg sollen per Beugehaft zum Reden gezwungen werden. Über entsprechende Anträge vom September hat der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof (BGH) noch nicht entschieden. Alle vier sind als Tatbeteiligte verurteilt, in Haft sitzt allerdings nur noch Klar - und der kommt voraussichtlich Anfang 2009 frei. Bekäme er Beugehaft aufgebrummt, würde seine reguläre Haftzeit währenddessen ruhen.
Die Terrorermittler um Griesbaum prüfen derzeit auch, ob beim Verfassungsschutz eine Aussage von Ex-RAF-Mitglied Verena Becker vorliegt, in der sie ebenfalls Wisniewski als Buback-Mörder genannt haben soll. Der SPIEGEL hatte berichtet, dass die Becker-Aussage schon 1982 bis in die Bundesanwaltschaft vorgedrungen sei, man ihr dort aber nicht nachgegangen sei. Griesbaum windet sich: Weder die Suche in den Panzerschränken der Behörde noch die Befragung früherer Mitarbeiter hätten etwas ans Licht gebracht.
Verfassungsschutz gibt Akten nicht frei
Fündig wurden die Bundesanwälte allerdings im Archiv des Inlandsgeheimdienstes. Griesbaum spricht von "Auswerteberichten" und "Fallakten", die man habe einsehen können. Um welche Art von Dokumenten es sich genau handelt, sagt er nicht. Aber: Sie enthalten offenbar jenen Hinweis, den Becker auf Wisniewski als Todesschützen gegeben hat - allein, der Verfassungsschutz will die Papiere aus Quellenschutzgründen nicht herausrücken, als Beweismittel sind sie somit nicht nutzbar.
In mehreren Schreiben hat die Anklagebehörde versucht, den Geheimdienst umzustimmen, zuletzt am 23. November. Doch in Köln wird gemauert. "Der Briefwechsel war manchmal sehr einseitig", sagt Terrorermittler Griesbaum. Ob die Unterlagen endgültig gesperrt werden, werde vermutlich das Bundesinnenministerium entscheiden müssen.
Im Zusammenhang mit dem Attentat auf Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer 1977 läuft ein weiteres neues Ermittlungsverfahren zum RAF-Komplex, in diesem Fall gegen das frühere RAF-Mitglied Rolf Heißler. Auch dieses Verfahren geht auf Aussagen Boocks zurück. Heißler wurde 1982 vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen der Ermordung zweier Polizeibeamter bei seiner Festnahme verurteilt, nicht jedoch wegen des Mordes an Schleyer. Gegen Wisniewski ermitteln die Karlsruher auch wegen des Verdachts der Beteiligung an einem versuchten Raketenwerferanschlag auf das Gebäude der Bundesanwaltschaft. Quelle für mögliche neue Erkenntnisse auch hier: Boock.
Fast überlagert die Aufarbeitung der Vergangenheit die Terrorgefahr der Gegenwart. Die geht in den Augen der Generalbundesanwältin weiterhin vor allem von Islamisten aus. Im September hatten die Fahnder im Sauerland drei Verdächtige festgenommen. In Deutschland aufgewachsen und fanatisiert, hatte das Terrortrio offensichtlich massive Anschläge auf US-Einrichtungen geplant.
War bei den verhinderten Kofferbombern im vergangenen Jahr noch eine glückliche Fügung behilflich - die beiden in Regionalzügen deponierten Sprengsätze lösten nur wegen handwerklicher Fehler kein Inferno aus - konnten die Terrorfahnder 2007 die Zelle schon in der Planungsphase sprengen, ein Erfolg, den sich die Ermittler gern auf die Fahnen schreiben. Dass in den letzten Tagen aus einer internen Manöverkritik pikante Details über eine ganze Reihe von Unzulänglichkeiten bei der Ermittlungsarbeit bekannt geworden waren, wurmt die Bundesanwälte. "Wir waren immer auf dem Laufenden", sagt Griesbaum trotzig. Man werde sich keine Pannen einreden lassen.
Seine Chefin verweist auf das Internet als das "entscheidende Kommunikationsmittel des internationalen islamistischen Terrorismus". Propaganda, Rekrutierung, Spendensammlungen, Bombenbaupläne - nichts, was es im Netz in diesem Zusammenhang nicht gibt. Der islamistische Terror habe durch die Nutzung des Internets als virtuelles Tatmittel eine neue Dimension erreicht, sagt Harms. Die Warnung ist ein erneutes Plädoyer für die umstrittenen Online-Durchsuchungen. Die Debatte darüber werde zu Recht geführt, sagt Harms. Der Bundesgerichtshof hatte sie bei Anträgen für eine Online-Durchsuchung zuletzt ausgebremst.
"Sieg und Niederlage gibt es im Rechtsstaat nicht"
Wie auch im Fall der als linksextrem eingestuften "militante gruppe (mg)", die sich seit zu 25 Brandanschlägen bekannt hat. Harms' Behörde ermittelt seit Monaten gegen die Gruppierung, ursprünglich wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Im Sommer glaubten die Fahnder endlich an einen Erfolg, als vier mutmaßliche "mg"-Mitglieder festgenommen wurden.
Doch der BGH hat gerade entschieden, dass die "mg" nicht terroristisch, sondern nur kriminell ist. Drei Haftbefehle sind nunmehr ausgesetzt, ein weiterer gänzlich aufgehoben. Der BGH-Spruch ist ein herber Dämpfer für Harms, die vor dem G-8-Gipfel mit Razzien im ganzen Land rigoros gegen die linke Szene vorgegangen war - eine "ziemliche Backpfeife", schallte es aus der Bundesrechtsanwaltskammer.
Der Spott ärgert die "Generalin", sie will nicht die Repräsentantin des harten Staates sein, die man in die Grenzen weist. Wieder verengen sich ihre Augen, zum ersten Mal während ihres vorbereiteten Vortrages löst sie sich ganz vom Manuskript.
Kategorien von Sieg und Niederlage, sagt sie, seien eines Rechtsstaates nicht würdig. In dem sei es normal, dass man auch unterschiedlicher Auffassung sein könne. Die BGH-Entscheidung sei hinzunehmen, aber man könne sie auch unterschiedlich betrachten, sagt Harms.
Gewonnen hätte sie eben doch ganz gern.