Ein rechtstaatliches Strafrecht sieht anders aus
Von Wolfgang Kaleck
Terrorismus ist eine politische und keine juristische Kategorie. Der Begriff ist deswegen juristisch nicht eindeutig zu fassen, weil er weniger auf objektive, sondern auf politische und auf subjektive Kriterien abstellt. Denn nicht jeder, der Bomben gegen die Zivilbevölkerung einsetzt, wird als Terrorist eingestuft, sondern nur derjenige, dessen Handeln als illegitim eingestuft wird, weil er gegen eine als legitim angesehene – zumeist – Staats-Macht nicht-legale Mittel einsetzt. Ob die historischen Organisationen wie Nelson Mandelas ANC und die PLO von Arafat oder heutzutage kurdische und iranische Organisationen als terroristisch bezeichnet werden, hängt auf diese Weise vom politischen Verständnis des Betrachters ab. Aus diesem Grunde konnte wegen des Widerstandes von vielen Staaten der Südhalbkugel im Rahmen der UN bisher auch keine gemeinsame Definition von Terrorismus gefunden werden. Im Inland helfen Terrorismustatbestände Beweisprobleme zu überwinden, wenn man dem Verdächtigen keine unmittelbare Tatbeteiligung vorwerfen kann – was dann zählen soll, ist die Absicht, die politische Gesinnung.
Daher ist auf Terrorismus-Sondergesetze zu verzichten, wenn man den Anspruch eines rechtstaatlichen Strafrechts bewahren will. Brandstiftungen und Bombenattentate würden damit nicht straflos bleiben: Geschehen sie zu Friedenszeiten, bieten die Strafgesetzbücher aller Staaten genügend Möglichkeiten, sowohl unmittelbare Täter als auch nachweisbar beteiligte Hintermänner zu bestrafen; werden sie im Krieg gegen Zivilisten begangen, sind sie gegebenenfalls als Kriegsverbrechen zu verfolgen.
Die aktuelle Entwicklung verläuft aber in umgekehrter Richtung. Nach dem 11.9.2001 wurden die Terrorismus-Sondergesetze nicht nur in Deutschland und in Europa, sondern auf der ganzen Welt ausgedehnt. Nie waren die Voraussetzungen so günstig, unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung unliebsame Gruppen zu verfolgen. In Umsetzung eines Ratsbeschlusses der EU reformierte die rot-grüne Bundesregierung den Tatbestand des § 129a StGB. Der neue Tatbestand wurde jedoch deutlich enger gefasst als bisher, so dass die stark kritisierte Rechtsprechung zur Werbung für eine terroristische Vereinigung, dadurch dass man deren angebliche Ziele, in welcher Weise auch immer, propagiert, nach der neuen Fassung nicht möglich gewesen wäre. Die rot-grünen Rechtspolitiker wiesen darüber hinaus darauf hin, dass erstmals eine Legaldefinition für Terrorismus Eingang in die Gesetzgebung gefunden hätte und dass insbesondere mit dem objektiven Tatbestandsmerkmal, dass die unter den Tatbestand des Paragrafen fallenden sogenannten Katalog-Taten objektiv dazu geeignet sein müssen, durch die Art ihrer Begehung oder ihre Ausübung einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich zu schädigen.
Wie wenig die Neudefinition des § 129a StGB unter Rot-Grün an den Methoden bundesdeutscher Strafverfolgungsbehörden ändern konnte, zeigt aber die Haftentscheidung vom 1. August 2007 gegen den Ostberliner Soziologen und politischen Aktivisten Andrej Holm. Holm war nach zehnmonatiger umfassender Überwachung in einem seit 2006 von der Bundesanwaltschaft geführten Verfahren wegen Mitgliedschaft in der nach Auffassung der Bundesanwaltschaft terroristischen Vereinigung »militante gruppe« inhaftiert worden. Neben Kontakten zur linken Szene und insbesondere einem Kontakt zu einem mutmaßlichen Brandstifter wurden gegen Holm vor allem neutrale Charakteristika, wie die Benutzung von Schlagwörtern und Phrasen, die auch in Texten der »militanten gruppe« verwendet wurden, sowie der Zugang zu Bibliotheken und die intellektuellen Voraussetzungen als Indizien herangezogen.
Doch den Bundesanwälten bekam ihr forsches Vorgehen nicht: Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs stellte nach drei Wochen Untersuchungshaft und knapp zweimonatiger Haftverschonung klar, dass die bisher aufgedeckten Beweistatsachen nicht mehr als einen Anfangsverdacht gegen Holm ergeben. Der Haftbefehl wurde aufgehoben. Derselbe Strafsenat setzte am 28. November 2007 die Haftbefehle gegen drei Beschuldigte wegen des Verdachtes der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nicht nur außer Vollzug, sondern nahm eine Klarstellung zur Neufassung des § 129a StGB vor. Der BGH machte deutlich, dass dem Staat nur dann ein im Sinne der objektiven Voraussetzung relevanter Schaden drohe, wenn die Straftaten geeignet seien, »die Bevölkerung in erheblicher Weise einzuschüchtern, eine Behörde rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen des Staates erheblich zu beeinträchtigen. Vermögensnachteile reichten dagegen nicht aus.«
Es hätte sowohl für die Beteiligten als auch für zukünftige weitere Beschuldigte in Terrorismusverfahren sicherlich schlimmer kommen können, wenn der Bundesgerichtshof nicht in rechtstaatlicher Weise die beiden zitierten Entscheidungen getroffenen hätte. Der bereits angerichtete Schaden für die Beteiligten in Form von erlittener Untersuchungshaft und ausufernden Ermittlungsmaßnahmen gegen Beschuldigte und gegen viele Nicht-Betroffene, unter anderem auch Presseorgane, ist hingegen kaum wieder gutzumachen. In Ermangelung politischer Erfolgsaussichten für die weitergehende Reformierung oder gar Abschaffung der Terrorismusparagrafen bleibt den Kritikern derzeit vorbehalten, auf die Instrumentalisierung juristischer Instrumente für politische Verfahren (politische Justiz) hinzuweisen und den Schaden für die betroffenen Einzelpersonen, aber auch für die Protestbewegungen, so gering wie möglich zu halten. Ein rechtstaatliches Strafrecht sieht jedoch anders aus.
Wolfgang Kaleck, Jahrgang 1960, ist Fachanwalt für Strafrecht. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind das europäische und internationale Strafrecht, das Wehr- und Kriegsdienstverweigerungsrecht sowie Fragen der Menschenrechte. 1991 gründete er seine eigene Kanzlei. Zunächst arbeitete Kaleck im Auftrag ehemaliger Bürgerrechtler der DDR. In der Folgezeit engagierte sich Kaleck gegen die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur und in letzter Zeit für ehemalige Gefangene des US-Foltergefängnisses in Guantanamo.