Pleiten, Pech und Pannen
In der Berliner Volksbühne berichteten vier vermeintliche Terroristen über die Ermittlungsmethoden der Strafverfolgungsbehörden Frank Brunner
Aus einer Ermittlungsakte: 14.20 Uhr: Konopke betritt sein Haus, 14.45 Uhr: Konopke verläßt sein Haus, 17.30 Uhr: Konopke betritt sein Haus, 19.05 Uhr: Konopke verläßt sein Haus. Solch banale Beobachtungen listeten Bundeskriminalamt (BKA) und Verfassungsschutz (VS) seitenlang auf, mit denen linken Aktivisten, Publizisten und Wissenschaftlern die Gründung einer terroristischen Vereinigung nachgewiesen werden soll. Diese und andere Absurditäten polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit wurden am Sonntag während einer szenischen Lesung in der vollbesetzten Berliner Volksbühne zitiert. In der Veranstaltung »Wir sind alle Terroristen« berichteten außerdem vier der insgesamt 40 Beschuldigten über ihr Leben mit Hausdurchsuchungen, Peilsendern, Telefonüberwachungen und Observationen. Hintergrund sind die seit 2001 andauernden Verfahren der Bundesanwaltschaft (BAW) gegen vermeintliche Mitglieder der linken Untergrundorganisation »militante gruppe« (mg), die sich unter anderem zu Brandanschlägen auf Fahrzeuge von Polizei und Bundeswehr bekannte.
So verdächtigt die BAW den Berliner Soziologen und Lehrbeauftragten an der Humboldt-Universität, Andrej Holm, einer der intellektuellen Köpfe der »mg« zu sein. Der Grund: Holm habe in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen Vokabeln verwendet, die sich auch in Bekennerschreiben der militanten Vereinigung finden. Zudem könne er als Wissenschaftler unauffällige Recherchen für die »mg« durchführen, so die erstaunliche Logik der Ermittlungsbehörden. »Daß ich manchmal kein Mobiltelefon mitgeführt habe, wurde ebenfalls als verdächtiges Verhalten bewertet«, so Holm. Mittlerweile achte er bei jedem Telefongespräch darauf, daß seine Worte nicht falsch interpretiert werden können.
Ähnliches berichtete Jonas. »Auf telefonische Scherze verzichte ich, denn das BKA versteht keinen Spaß«, sagte das Mitglied der Initiative »Libertad«, die sich für die Solidarität mit politischen Gefangenen engagiert. Seit sechs Jahren werde gegen ihn ermittelt. Erfahren habe er von den Nachforschungen erst, als ihm sein Telefonanbieter wegen eines technischen Fehlers jene Gespräche, die vom BKA belauscht wurden, doppelt berechnete. »In den Jahren 2001 und 2002 überwachte das BKA meinen kompletten Telefon- und E-Mail-Verkehr, installierte Videokameras vor Wohnung und Arbeitsstelle, erstellte Bewegungsprofile über einen im Auto eingebauten GPS-Sender und ›begleitete‹ mich mit Observationsteams«, so der Beschuldigte.
Doch trotz Komplettüberwachung, trotz Geruchsproben, Sprachanalysen oder mikrobiologischer Untersuchungen von Aschenbecherinhalten, konkrete Belege für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung konnten die Beamten bei allen vier Beschuldigten bisher nicht vorlegen. Was die staatlichen Behörden allerdings nicht daran hinderte, weiter zu ermitteln. Schließlich kann man den Mangel an Beweisen noch immer als Zeichen hoher Konspiration deuten. Ein Beispiel für diese Denkweise präsentierte Thomas. Die Abwesenheit des Antifaschisten bei den G-8-Protesten in Heiligendamm wertete die BAW als besonders auffällig, da dies auf gezielt unauffälliges Verhalten schließen lasse, so der Antifaschist, dem die Beteiligung an militanten Aktionen gegen Rüstungsfirmen und Bundeswehrfahrzeugen vorgeworfen wird.
Unverhältnismäßigen Überwachungs_methoden folgen fragwürdige Beweiskonstruktionen. Und umgekehrt. Die geplante Novellierung des BKA-Gesetz_es, nach dem die, aus den Erfahrungen des Faschismus resultierende Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufgehoben werden soll, sei bereits jetzt Realität, so Diskussionsteilnehmer Hauke, der Mitglied der Kampagne gegen den G-8-Gipfel war. Alle vier Politaktivisten betonten jedoch auch, daß die Aufmerksamkeit, die ihre Verfahren in den Medien gefunden hätten, für eine breite Solidarisierung in der Bevölkerung gesorgt habe. »Nun gilt es, daraus Kraft für die politische Arbeit zu ziehen«, resümierte Andrej Holm am Schluß der Veranstaltung.