Staatsfeinde im Theater
Beschuldigte berichteten über Hintergründe ihrer Verfahren nach Paragraf 129a
»Wir sind alle Terroristen!« lautete der Titel einer Veranstaltung, zu der das Bündnis für die Einstellung der Verfahren zum Paragrafen 129a in die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz eingeladen hatte.
So sehen also Terroristen aus. Auf dem Podium des gefüllten Theatersaals saßen am Sonntagvormittag vier Beschuldigte von derzeit vier laufenden Ermittlungsverfahren nach dem Terrorismusparagrafen 129a – allesamt politische Aktivisten, die sich bei den G8-Protesten oder in antifaschistischen Gruppen engagierten. Erstmalig berichteten sie gemeinsam auf einer Veranstaltung, wie sie in den Blick von Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden gerieten, welche Dimensionen die staatlichen Überwachungsmaßnahmen angenommen haben und wie sie damit umgehen.
Gegen zwei der Podiumsteilnehmer wird seit über sechs Jahren ermittelt. Sämtliche Ermittlungen werden mit Brand- und Farbbeutelanschlägen der »militanten gruppe« und anderer Gruppierungen begründet. Diese hatten sich gegen Autos und Gebäude von Militäreinrichtungen, Polizei- und Sozialbehörden oder Wirtschaftsinstituten gerichtet.
Die Veranstaltung vermittelte einen Eindruck davon, wie schnell Menschen ins Visier von Terrorismusfahndern kommen können. Zu Beginn wurde den Gästen mit einer szenischen Lesung aus Aktenmaterial verdeutlicht, wie absurd einige Konstruktionen sind. Die vier Beschuldigten konnten aufgrund der ihnen gewährten Akteneinsicht nachvollziehen, wie es zu den Ermittlungen gegen sie kam. In einem Verfahren gegen die »militante gruppe« spielt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine maßgebliche Rolle.
Für BKA immer verdächtig
Der Geheimdienst führte in einem Papier ohne nähere Erläuterungen die vermeintlichen Gruppenmitglieder namentlich auf. Obwohl nach mehrjährigen ergebnislosen Ermittlungen dem Bundeskriminalamt (BKA) Zweifel an der Mitgliedschaft dieser Personen kamen, hielt das BfV an seinen »Erkenntnissen« fest. Der Verfassungsschutz, so einer der Beschuldigten, steuerte auf diese Weise das Ermittlungsverfahren. Die Trennung von Geheimdienst und Polizei sei nach Aktenlage wiederholt außer Kraft gesetzt worden, indem das BfV an Ermittlungen beteiligt wurde und Anweisungen an Ermittlungsbehörden gab.
Während BKA und Bundesanwaltschaft gegen einige Beschuldigte anführen, sie hätten an Vorbereitungstreffen zu Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm teilgenommen, werten sie das Fernbleiben von diesen Treffen bei anderen Beschuldigten als »auffallend unverdächtiges Verhalten«.
Ein Podiumsteilnehmer weiß seit 2002, dass er überwacht wird. Damals erhielt er eine erhöhte Telefonrechnung, in der ihm die in die Dienststellen weitergeleiteten Telefonate in Rechnung gestellt wurden. Er erzählte von mehrmonatigen Observationen, dass sein Handy wiederholt über lange Zeiträume stündlich geortet, sein Internetzugang abgehört, sein Hauseingang gefilmt und sein Auto mit Peilsender und Abhöranlagen ausgerüstet wurde. Gleiches konnten auch die anderen Beschuldigten berichten, die teilweise sogar von akustischer Wohnraumüberwachung, also dem großen Lauschangriff, betroffen waren. Ergebnisse: keine.
2000 Personen betroffen
In den vier Verfahren gibt es insgesamt 40 Beschuldigte aus Berlin und Norddeutschland. Von den Abhör- und Überwachungsmaßnahmen sind über 2000 ihrer »Kontaktpersonen« betroffen. Aber auch Teilnehmer eines Vorbereitungstreffens anlässlich der G8-Proteste im Berliner Mehringhof wurden beim Betreten gefilmt und ihre Handys registriert.
Dennoch – die Podiumsteilnehmer waren sich einig. Auch wenn dies Überwindung koste, dürfe man sich von den umfangreichen Überwachungsmaßnahmen nicht einschüchtern lassen. Sie alle werden politisch weiterarbeiten. Großen Applaus erhielt abschließend ein Beschuldigter, der aufgrund der derzeitigen Maßnahmen des Staates das Resümee zog: Das einzig Vernünftige heutzutage sei es, Staatsfeind zu sein.