129a: Lesereise hinter Gitter

Wie die Telepolis-Autorin Heike Schrader ins Visier des Staatsschutzes geriet

von Harald Neuber

Es sollte eine gewöhnliche Lesereise werden. Ein halbes Dutzend Termine hatte Heike Schrader, die auch für Telepolis schreibt, vor den Weihnachtsfeiertagen vereinbart. Am Montag traf sie aus der griechischen Hauptstadt Athen auf dem Flughafen Köln-Bonn an, um unter anderem in Berlin und Nürnberg ein Sachbuch vorzustellen. Doch der Routineeinsatz begann mit einer unangenehmen Überraschung. Noch auf der Gangway wurde die 42-jährige Publizistin von Beamten des Bundeskriminalamtes festgenommen. Schrader, die mit ihrem griechischen Ehemann seit Jahren in Athen wohnt und für zahlreiche deutsche Medien tätig ist, wird vorgeworfen, an der "Bildung terroristischer Vereinigungen" beteiligt und "flüchtig" gewesen zu sein. Wenige Wochen, nachdem die Bundesanwaltschaft im Fall der "militanten gruppe" (Richter prüfen Terrorvorwurf) ein rechtswidriges Vorgehen bescheinigt wurde, zeichnet sich ein neuer Justizskandal ab.

Die Maschine der German Wings war auf dem rheinischen Flughafen gelandet, als eine ungewöhnliche Durchsage kam. "Wir wurden aufgefordert, unsere Ausweisdokumente bereit zu halten", erinnert sich Schrader. Polizeibeamte, hieß es, hätten über Funk eine Kontrolle der Passagiere angemeldet. Dann ging alles ganz schnell.

Namentlich wurde die Journalistin noch auf der Gangway von Zivilbeamten des Bundeskriminalamtes im Empfang genommen und in eine Haftanstalt nach Bonn gebracht, wo sie über Nacht festgehalten wurde. Einblick in den Haftbefehl bekam die Journalistin erst am Abend. 129a Abs. 1. Nr. 1 stand dort. Sie soll demnach an der Bildung terroristischer Vereinigungen mit dem Ziel beteiligt gewesen sein, "Mord", "Totschlag", "Völkermord", "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" oder "Kriegsverbrechen" zu begehen.

Die Anklage schockierte nicht nur die Journalistin. Als ihr am Abend erstmals ein Telefonat erlaubt wurde, rief sie ihren Ehemann in Athen an. "Er war völlig erschüttert", schilderte sie im Gespräch mit Telepolis am Mittwoch. Ändern konnte weder er noch die benachrichtigte Anwältin zunächst nichts. Am nächsten Vormittag erst wurde die deutsche Publizistin dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorgeführt. Er entschied, den Haftbefehl auszusetzen. Der Pahl-Rugenstein Verlag, auf dessen Einladung sie nach Deutschland gekommen ist, hinterlegte 5000 Euro Kaution. Schrader darf die Bundesrepublik nicht verlassen, musste ihren Pass abgeben und ist angehalten, sich wöchentlich bei der Polizei melden.

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"Beschuldigte war flüchtig"

Nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft wird der Frau vorgeworfen, "von Frühjahr 1996 bis 1998 Mitglied der im Inland innerhalb der (türkischen Organisation) DHKP-C bestehenden terroristischen Vereinigung gewesen zu sein". Die linke Gruppe "Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front", die in der türkischen Gemeinschaft eine stabile Anhängerschaft hat, wurde im August 1998 vom Innenministerium verboten. Die Generalbundesanwaltschaft wiederholt in ihrer Erklärung zur Festnahme Schraders die alten Vorwürfe. Die Gruppe versuche, "den türkischen Staat mittels eines 'bewaffneten Kampfes' zu beseitigen und durch ein marxistisch-leninistisches Regime unter seiner Kontrolle zu ersetzen". Schrader sei Teil dieser Verschwörung gewesen, heißt es in der dramatischen Erklärung des Bundesanwalts.

Für die Beschuldigte ist schon dieser Vorwurf ein Skandal. Sie sei im angegebenen Zeitraum in einem linken Szenetreff in Köln aktiv gewesen, berichtet sie. Auch habe sie Kontakt zur DHKP-C gehabt. Ihre Arbeit habe aber unter anderem darin bestanden, eine Zeitschrift herauszugeben. Die Bundesanwaltschaft schlussfolgert daraus, dass die 42-jährige "mehrfach an Treffen hochrangiger Funktionäre" der DHKP-C teilnahm, bei denen "Planung und Vorbereitung von Brandstiftungs- und Tötungsdelikten" im Zentrum gestanden hätten. Seit 2001 sei Schrader deswegen mit einem Haftbefehl gesucht worden, der im Jahr 2005 neu gefasst worden sei.

Spätestens an diesem Punkt beginnt der Skandal. Die Journalistin hat sich einer Strafverfolgung mitnichten entzogen - schon alleine, weil sie nichts von einem Haftbefehl wusste. "Im März dieses Jahres war ich erst auf Veranstaltungen in Deutschland zu Gast", sagt sie. Ihr Name sei in Medien publiziert und auf Plakaten gedruckt worden.

Während die Betroffene sich über die Bezichtigungen nun erst einmal mit ihrer Anwältin beraten will, finden andere klarere Worte. "Die Generalbundesanwaltschaft lügt", sagt Rüdiger Göbel, stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung junge Welt. Neben Telepolis und anderen Medien schreibt Schrader seit Jahren für das linke Blatt. "Eine einfache Recherche beim Internetsuchdienst Google bzw. direkt über unsere Homepage ergibt: Heike Schrader berichtet in der jungen Welt regelmäßig aus Griechenland", so Göbel.

Politische Motivation vermutet

Der Pahl-Rugenstein Verlag und die Autorin vermuten daher Vorsatz bei den Staatsschutzbehörden. In Deutschland wollte Schrader das gerade erschienene Buch "Guantánamo auf Griechisch. Zeitgenössische Folter im Rechtsstaat" präsentieren. Sie hatte die Arbeit des Griechen Savvas Xiros, Mitglied der Stadtguerilla "17. November", ins Deutsche übertragen. Xiros, der seit 2002 in Griechenland inhaftiert ist, berichtet in dem Buch unter anderem, wie er nach seiner Festnahme schwer verletzt auf der Intensivstation von den Sicherheitsbehörden gefoltert und zu Aussagen gezwungen wurde.

"Offensichtlich soll eine Debatte über Folter in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union erschwert werden", vermutet Schrader, die immer wieder darauf verweist, dass sie sich seit Jahren frei innerhalb der EU bewegt. Dass sie ausgerechnet vor der Lesereise mit "konstruierten" Vorwürfen der Bundesanwaltschaft konfrontiert werde, könne kein Zufall sein.

Es ist nicht die einzige Unstimmigkeit in dem Fall. Die Beschuldigte unterhielt Kontakte zur DHKP-C in einer Zeit, zu der die Gruppe zum legalen linken Spektrum der türkischen Gemeinde gehörte. Was bleibt, ist der Vorwurf, sie hätte wahrscheinlich an Treffen einer mutmaßlichen terroristischen Vereinigung innerhalb der DHKP-C teilgenommen, die vermutlich für Gewalttaten verantwortlich war. Der so ersonnene Vorwurf erinnert an das rüde Vorgehen des Staatsschutzes im Fall der "militanten Gruppe". Auch hier waren mehrere Journalisten ins Visier von Geheimdienst und Polizei geraten (BGH formuliert strenge Auflagen für 129a-Verfahren). Im Oktober und November wies der Bundesgerichtshof die Ermittlungsbehörden deswegen mehrfach zurecht.

Auch der Fall Schrader wirft Fragen auf und lässt zunächst zwei Interpretationsmöglichkeiten: Entweder trifft der Vorwurf der politischen Justiz zu oder die Ermittler haben in unglaublicher Weise geschlampt. Wenn eine vermeintliche Guerillera über Jahre hinweg ein- und ausreisen kann - wie ist es dann um den Schutz vor wirklichen Terroristen bestellt?

Am Mittwoch präsentierte Schrader das von ihr übersetzte Buch von Savvas Xiros im Deutschen Bundestag, eingeladen hatte sie die Linksfraktion. Am Wochenende wird sie den Band auf der linken Buchmesse in Nürnberg vorstellen. Unter anderem dieser Termin war im Internet, in Zeitungen und auf Plakaten mit dem Namen der Übersetzerin beworben worden. Eine Flüchtige verhält sich anders.