Vorratsdatenspeicherung: „Faktisch wird jeder Bürger unter Generalverdacht gestellt“

Das Gesetzesvorhaben der Vorratsdatenspeicherung erhitzt die Gemüter. Kritiker befürchten, dass damit der Weg hin zur Überwachungsgesellschaft geebnet wird. Digitalmagazin sprach darüber mit Werner Hülsmann, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz.

Digitalmagazin: Herr Hülsmann, am 9. November wurde im Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Bundesregierung eine Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung beschlossen. Wie sah die alte Version aus, und was sind die geplanten Neuerungen?

Hülsmann: Diese Neuregelung ist ein Gesetzespaket, das zum Einen im Bereich der Telekommunikationsüberwachung einige Verbesserungen und Klarstellungen bringt. Zum anderen wird mit dem Gesetz die sechsmonatige Vorratsspeicherung der Telekommunikationsdaten beschlossen. Bisher durften Telekommunikations- und Internetdienstleister die Verkehrsdaten, also wer mit wem wie lange telefoniert, wer wem eine SMS oder E-Mail sendet und wer wie lange mit welcher IP-Nummer im Internet unterwegs ist, nur dann bis zu sechs Monaten nach Rechnungsversand speichern, wenn diese Daten für Abrechnungszwecke erforderlich war. So dürfen beispielsweise bei Flatrates die Verkehrsdaten nach dem Ende der Verbindung gar nicht gespeichert werden. Die Speicherung der Informationen, wer wem wann eine E-Mail sendet, ist für Abrechnungszwecke nicht erforderlich. Zudem wurden bisher die Verkehrsdaten meist nur für bis zu drei Monate nach Rechnungsstellung gespeichert.

Digitalmagazin: Was genau ist bei diesem „Orwell-Gesetz“ das Gefährliche für Web-Surfer und Telefonierer?

Hülsmann: Bei einem Zugriff der staatlichen Stellen – das sind nicht nur die Strafverfolger , sondern auch Verfassungsschutz und Nachrichtendienste – lässt sich für einzelne Personen ein lückenloses Profil ihrer elektronischen Kommunikation erstellen. Faktisch wird jede Bürgerin und jeder Bürger unter Generalverdacht gestellt. Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung wird daher auch zu Recht vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, als „Dammbruch auf dem Weg in die Überwachungsgesellschaft“ bezeichnet.

Digitalmagazin: Das Gesetz steht noch zur Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten aus. Rechnen Sie damit, dass Horst Köhler den Entwurf absegnet? Wie werden Sie im entsprechenden Falle reagieren?

Hülsmann: Grundsätzlich hat der Bundespräsident die Möglichkeit, nicht verfassungskonform zustande gekommene Gesetze nicht zu unterschreiben. Angesichts der vielen vorliegenden Gutachten, die der Vorratsdatenspeicherung die Verfassungswidrigkeit bescheinigen, hätte der Bundespräsident also gute Gründe nicht zu unterschreiben. Ob er es dennoch tut, kann ich nicht abschätzen. Wenn das Gesetz nach der Unterschrift im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird, wird die im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung vorbereitete Verfassungsbeschwerde eingereicht. Dieser Verfassungsbeschwerde haben sich inzwischen mehr als 15.000 Bürgerinnen und Bürger angeschlossen.

Digitalmagazin: Das BKA soll nach Medienberichten fallweise bereits seit einigen Jahren Daten derjenigen Internet-Surfer gespeichert haben, welche die BKA-Webseiten besucht haben. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen?

Hülsmann: Dieses Vorgehen ist aus meiner Sicht datenschutzrechtlich unzulässig und zudem eine Unverschämtheit. Welche Schlüsse will das BKA aus solchen Informationen ziehen? Ist jeder, der sich auf den BKA-Seiten über die Militante Gruppe informiert für das BKA ein potentielles Mitglied? Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schließt auch das Recht ein, dass ich mich unerkannt – und ohne dass dies zu dubiosen Vermutungen führt – aus öffentlichen Quellen informiere.

Digitalmagazin: Wer anonym surfen möchte, sollte per Tarnkappe ins Internet gehen. Wie genau funktioniert dies? Können Sie konkrete Software-Dienste nennen, die das Tarnkappen-Surfen ermöglichen?

Hülsmann: Zumindest deutsche Anonymisierungsdienste müssen nach dem Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung sicherstellen, dass die Anonymisierung nachträglich wieder aufgehoben werden kann. So wäre die Nutzung eines Anonymisierungsdienstes gegenüber Strafverfolgung und Geheimdienste wirkungslos wenn nicht ein Teil der Server, die zur Anonymisierung genutzt werden außerhalb der EU stünde. Bei Anonymisierungsdiensten wie AN.ON (http://www.anon-online.de) oder JonDonym (https://www.jondos.de/de/) wird der Datenverkehr mehrfach verschlüsselt und über mehrere Server geleitet, so dass jeweils der erste Server die IP-Adressen der Nutzer sieht, der letzte Server die Kommunikationsdaten, aber nur alle Zusammen die Identität einzelner Nutzer aufdecken könnten. Weitere Beispiele für Anonymisierungsnetzwerke sind z.B. Tor (The Onion Router - http://tor.eff.org/) und I2P (http://www.i2p.net/). Auch diese Systeme beruhen auf ähnlichen Algorithmen. Prinzipiell wird der Datenverkehr immer über mehrere Teilnehmer des Netzwerkes geleitet und durch Verschlüsselungsverfahren wird sichergestellt, dass jeder Teilnehmer immer nur den Hin- und Rückweg eines Pakets bis zum nächsten Teilnehmer kennt. Es ist also niemals klar, wer die Quelle einer Verbindung ist, da sich hinter jedem Teilnehmer wieder weitere Teilnehmer befinden könnten.

Digitalmagazin: Gibt es ähnliche Möglichkeiten auch z.B. in der Mobiltelefonie, sprich kann ich auch anonym (für Datensammler) mit dem Handy telefonieren?

Hülsmann: Für abgehende Gespräche wäre das grundsätzlich möglich, wenn es einen großen Pool an vorausbezahlten SIM-Karten gäbe, die häufig untereinander ausgetauscht werden. Am besten gleich zusammen mit dem Mobiltelefon, da die IMEI, also die eindeutige Geräte-Identifikationsnummer ebenfalls mitgespeichert wird. Allerdings ist es bei ankommenden Gesprächen ja erforderlich, dass mein Gesprächspartner meine Nummer kennt und ich daher zumindest eine dauerhafte Nummer benötige. Wenn ich keine Kosten scheue, kann ich allerdings eine 0700er-Nummer mit Weiterleitung auf meine gerade aktuelle Mobilfunknummer schalten. Besonders praktisch ist das sicher nicht.

Digitalmagazin: Vielen Dank für dieses Gespräch!