[video] Unschuldige unter Terrorverdacht

31. Juli 2007, 7.00 Uhr morgens. Mit gezogener Waffe stürmen mehrere Polizisten die Wohnung des Berliner Soziologen Andrej Holm. Sie werfen Holm zu Boden, fesseln seine Hände auf dem Rücken. Dann bringen sie ihn in Untersuchungshaft. Der Verdacht: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

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In der Nacht zuvor waren drei Männer bei dem Versuch festgenommen worden, in Brandenburg/Havel Bundeswehrlastwagen anzuzünden. Sie sollen laut Bundesanwaltschaft der so genannten "militanten gruppe" angehören. Mit einem der Verdächtigen habe sich Holm einige Monate zuvor getroffen. Allein das reicht den Ermittlern aus, um Holm 23 Tage lang in Untersuchungshaft festzuhalten.

Kein dringender Tatverdacht

Doch dann hebt der Bundesgerichtshof (BGH) den Haftbefehl auf. Es bestehe kein dringender Tatverdacht, dass Holm Mitglied der "militanten gruppe" sei, so die Richter. Eine schwere Schlappe für Generalbundesanwältin Monika Harms. Auch die drei Beschuldigten des Brandanschlages sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Ihre Haftbefehle sind bis auf weiteres außer Vollzug gesetzt. Hier entschieden die BGH-Richter vor ein paar Tagen: Sie seien zwar der Tat vom 31. Juli 2007 verdächtig. Dies begründe jedoch in rechtlicher Hinsicht nicht den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sondern nur denjenigen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung - eine erneute Ohrfeige für die Generalbundesanwältin.

Die Bundesanwaltschaft jagt seit Jahren vermeintliche Mitglieder der so genannten "militanten gruppe". In einem Schreiben an Frontal21 beharrt sie weiter darauf, zuständig für die Verfolgung der "militanten gruppe" zu sein, auch wenn die keine terroristische Vereinigung ist.

Antiterrorparagraf 129a

Dabei stützt sich die Bundesanwaltschaft vor allem auf den Paragrafen 129a des Strafgesetzbuches, der Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren für die Bildung und Mitgliedschaft terroristischer Vereinigungen vorsieht. Demnach ist eine terroristische Vereinigung der Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bestimmte schwere Straftaten verüben, um ein gemeinsames politisches Ziel zu erreichen.

Der umstrittene Paragraf ist ein Relikt aus RAF-Zeiten der 70er Jahre und wurde zuletzt 2003 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung im Rahmen der internationalen Terrorismusbekämpfung reformiert. Demnach sollten etwa Brandanschläge nur noch dann als Terrorismus gelten, wenn sie dazu dienten, "Grundstrukturen des Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen."

Razzien bei G8-Gegnern

Ungeachtet dessen ermittelt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe weiter gegen vermeintliche linke Terroristen. Mit aller Härte geht sie im Frühjahr gegen Gegner des G8-Gipfels vor, ordnet Razzien in Büros und Privatwohnungen der Aktivisten an.
Auch Norbert T., Geschäftsführer eines Hamburger Pflegedienstes, steht unter Terrorverdacht. Seine Wohnung wurde von Polizisten durchsucht. Sie beschlagnahmten seinen Computer, sein Handy, durchwühlten Schränke - und sie versteckten ein Mikrofon: Das aber erlaubt das Gesetz nur bei schweren Straftaten. Wochenlang überwachten die Ermittler den Hauseingang von Norbert T. Nun bekam auch sein Anwalt ein Schreiben vom BGH. Die Richter bestreiten darin, dass die geplanten Proteste gegen den G8-Gipfel nach dem Terrorismus-Paragrafen verfolgt werden dürfen.

Jasper von Schlieffen Kritik an Strafverfolgungsbehörden

Rechtsexperten wie Jasper von Schlieffen, Sprecher der Strafverteidigervereinigung, kritisieren, dass Strafverfolgungsbehörden oft zu schnell zum Terrorismusvorwurf greifen, um gravierende Ermittlungsmaßnahmen wie zum Beispiel den Lauschangriff gegen Verdächtige anwenden zu können. So sei der Große Lauschangriff doch einer der schwerwiegendsten Eingriffe in die Privatsphäre, meint von Schlieffen.

Kritik gibt es aber auch am Paragrafen 129a. Er stelle nur geringe Hürden an den Anfangsverdacht. So steht zu befürchten, dass dieser Paragraf vor allem vom BKA und dem Verfassungsschutz zur Informationssammlung gegen Verdächtige genutzt wird.