Keine Tabus? Der Rechtsstaat tut sich schwer mit der Bekämpfung des Terrorismus

Von Reinhard Müller

BERLIN, 3. Dezember. Man hätte sich so schön über den Ausnahmezustand austauschen können. Doch als das Bundeskabinett unlängst erstmals beim Bundesverfassungsgericht zu Gast war, kam dieses Thema nicht zur Sprache. Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier hatte schon vorab ausdrücklich darauf hingewiesen, dass über konkrete oder mögliche künftige Karlsruher Fälle selbstverständlich nicht geredet werde. Und so geschah es, auch wenn sich mancher Minister während der dreieinhalb Stunden am Schlossplatz unverbindlich nach dem Stand eines Verfahrens erkundigte und dann eine allgemeine Antwort erhielt.

Ärger gab es schließlich wegen eines Themas, über das gar nicht gesprochen wurde. Verfassungsrichter Udo Di Fabio hatte am Tag zuvor in einem Vortrag vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin die Einhaltung der Kompetenzordnung und der geltenden Grundregeln angemahnt und gleichsam vor einer Lust am Ausnahmezustand gewarnt. Zwar stand der Termin schon lange fest, war der Vortrag schon seit eineinhalb Jahren in Vorbereitung, und zudem hatte der Staatsrechtslehrer weder Innenminister Schäuble noch Verteidigungsminister Jung persönlich angegriffen. Doch wirkte das Ganze in Berlin bis heute wie eine Provokation: Schäuble, der wie Jung am Karlsruher Abend ganz nah bei Di Fabio saß, fühlte sich brüskiert, weil der Richter den Vortrag mit keinem Wort erwähnte, über den der Minister am nächsten Tag in der Zeitung lesen konnte.

Doch es geht nicht nur um Stilfragen; sonst hätte etwa Volker Kauder, der Fraktionsvorsitzende der Union, wegen Di Fabios Äußerungen nicht gezürnt. Immerhin hat die Union den wirkungsmächtigen strukturkonservativen Richter des Zweiten Senats für sein Karlsruher Amt vorgeschlagen. Di Fabios Kritik richtete sich in der Sache vor allem gegen eine Schrift des Kölner Staatsrechtslehrers Otto Depenheuer ("Selbstbehauptung des Rechtsstaates"), einen Vortrag vor einem Kreis konservativer Rechtsgelehrter, der freilich schon dort auf Widerstand gestoßen war und der manchen Kollegen an 1914 erinnert. Schäuble hatte Depenheuers Büchlein sogleich öffentlich zur Lektüre empfohlen, als wissenschaftliche Fundierung seiner eigenen Überlegungen.

Deren Ausgangspunkt ist, wie er jetzt auf einer rechtspolitischen Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin bekräftigte, dass es beim Nachdenken über den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus keine Tabus geben dürfe. Eine Tabuisierung sei geradezu "demokratiewidrig". Und weiter: "Der freiheitliche Verfassungsstaat muss seinen Bürgern das Gefühl geben, er habe das Nötigste getan." Mit Blick auf das Urteil zum Luftsicherheitsgesetz, an dem sich auch Depenheuers Schrift entzündet hatte, sagte Schäuble, man könne die Verantwortung nicht auf Soldaten und Polizisten abschieben. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte die gesetzliche Regelung verworfen, aufgrund deren ein als Waffe eingesetztes Passagierflugzeug notfalls durch die Bundeswehr hätte abgeschossen werden können. Das Gericht hatte damit freilich nicht ausgeschlossen, dass die Exekutive in solchen Extremfällen handeln kann.

Auch über den Fall Guantánamo muss laut Schäuble weiter nachgedacht werden. "Wir Deutsche wissen ganz genau, was die Amerikaner falsch machen", sagte er. "Und wir wissen ganz genau, dass wir alles richtig machen." Guantánamo, wo die Amerikaner seit Jahren Gefangene ohne richterliche Entscheidung festhalten, sei mit den überkommenen (kriegs-)rechtlichen Regeln nicht zu greifen. Das sagte in Berlin auch der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz. Er will auch über präventive Tötungen mutmaßlicher Terroristen reden, wie sie Israel praktiziert.

Dagegen machte Generalbundesanwältin Monika Harms deutlich, dass man neue Formen der Bedrohung auch mit dem geltenden Recht in den Griff bekommen kann. Sie fragte, ob nicht der Aufenthalt in einem Ausbildungslager von Al Qaida als Unterstützung dieser terroristischen Vereinigung gewertet werden und somit strafbar sein könne. Womöglich sei dann kein neuer Straftatbestand nötig, wie er jetzt geplant ist. Frau Harms kritisierte zugleich heftig den 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der für terroristische Straftaten zuständig ist. "Wir haben eine Tendenz in der Rechtsprechung, die die Gefahr aus dem Blick nimmt und mit feinen juristischen Überlegungen darzulegen versucht, dass alles nicht so schlimm ist." Das gelte sowohl für das Legen von Brandsätzen als auch für die Sympathiewerbung für Terrorgruppen. "Wir müssen erreichen, dass die Justiz gewillt ist, ihre Kontrollfunktion wahrzunehmen", sagte die Generalbundesanwältin, die vor einer Ungleichbehandlung von rechter und linker Gewalt durch den Bundesgerichtshof warnte. Der 3. Strafsenat hat demgegenüber stets darauf hingewiesen, dass er sich genau an die noch vom rot-grünen Gesetzgeber vorgenommenen Einschränkungen der Terrorismus-Vorschrift halte.