Geschichte wird gemacht
Was brachte die Woche #48? (mit annalist)
Nachdem wir uns in letzter Zeit eine kreative Pause gegönnt haben, folgt nun die Fortsetzung unseres Wochenrückblicks. Wir wollen mit zahlreichen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern aus den verschiedensten Bereichen des Netz- und Offlinelebens sprechen und ihrer Stimme Gehör verleihen. Anne Roth, die bloggende Lebensgefährtin des vom BKA engmaschig überwachten Berliner Soziologen Andrej Holm, hat sich netterweise für diesen Wochenrückblick zur Verfügung gestellt. Wegen der Begriffe in seinen Fachpublikationen, in denen er Stadtentwicklungsprozesse beschrieb, wurde Annes Lebensgefährte der Mitgliedschaft der "militanten gruppe" (mg) verdächtigt. Er befand sich von Ende Juli bis zum 22. August in Untersuchungshaft. Er und seine Familie werden seit über einem Jahr systematisch vom BKA überwacht.
Inzwischen auf freiem Fuß, geht die Überwachung Andrejs und seines Umfeldes ohne Unterbrechung weiter, obgleich die Mitgliedschaft in der mg wegen nur dürftigster Indizien angenommen wurde. Darüber hinaus stellte der Senat am 28. November fest, dass es sich bei der "militanten gruppe" nicht um eine "terroristische Vereinigung" im Sinne des § 129a StGB handelt. Am gleichen Tag wurden auch die Haftbefehle gegen die drei anderen, mit Holm festgenommen Personen außer Vollzug gesetzt. Terroristen oder nicht, am Monitoring Holms, seiner Lebensgefährtin Anne Roth und der Kinder durch das BKA hat sich nichts geändert.
Lars Sobiraj: Hallo Anne. Wie erging es dir, euren Kindern und deinem Lebensgefährten in dieser Woche? Ich hoffe, außer den defekten Computern, krisselnden Fernsehern und eurer gestörten Telekommunikation ist in den letzten Monaten nicht mehr zu Bruch gegangen?!?
Anne Roth (annalist): Hallo, nein, kaputt gegangen ist diese Woche nichts. Die Überwachung hat gerade wieder enorm angezogen, also der spürbare Teil davon - zuletzt ist gestern mein Rechner viermal komplett hängengeblieben, als mich an meinem letzten Blog-Eintrag bastelte. Ganz bizarr auch am Dienstag: da haben wir in der Berliner NGBK eine externer Link in neuem Fenster folgtVeranstaltung gemacht, bei der u.a. der Film externer Link in neuem Fenster folgtStrange Culture in Ausschnitten gezeigt wurde, ein Film über ein Verfahren gegen den amerikanischen Künstler Steve Kurtz, gegen den wegen völlig harmloser Bakterien und Reagenzgläser ein Bioterrorismus-Verfahren eröffnet wurde, das heute noch läuft. Die Parallelen werden in dem Film sehr deutlich. Ich habe in der Veranstaltung auch externer Link in neuem Fenster folgterzählt, wie es sich anfühlt, überwacht zu werden, zu wissen, dass die Überwacher immer da sind, und sah dabei einem indifferent guckenden älteren Herrn ins Gesicht, Strickpulli, deutlich aus dem sonstigen Publikum raustechend. Das ist schon ziemlich eigenartig.
Ansonsten war die Woche so stressig wie alle seit dem 31.7., und vor allem aber auch sehr großartig, weil die letzten drei in diesem §129a-Verfahren wegen Terrorismus Angeklagten gegen Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen wurden. Der BGH hat entschieden, dass alle sieben nunmehr keine Terroristen mehr sein sollen. Sondern 'nur noch' kriminell. Das ist, was das Verfahren angeht, nicht wirklich viel besser, allerdings ist das zu erwartende Strafmaß deutlich geringer. Da sind drei Leute fast vier Monate in Untersuchungshaft gewesen, weil sie drei Bundeswehr-LKW angezündet haben sollen, und weil einer von ihnen zweimal Andrej getroffen haben externer Link in neuem Fenster folgtsoll. Die LKW gibt es immer noch, niemand wurde gefährdet - normalerweise führt das nicht zu U-Haft. Wir - also alle, die direkt mit diesem Verfahren zu tun haben: Familien, die Beschuldigten selbst, FreundInnen, MitbewohnerINnen - haben zwar immer gefunden, dass die freigelassen werden müssen, aber das wirklich zu hoffen haben wir uns mehrheitlich wohl nicht so wirklich getraut - ein Terrorismusverfahren ist eben doch was anderes als falsch Parken.
Ich war am Anfang fassungslos darüber, dass es dieses Verfahren so gibt - bin ich eigentlich immer noch. Zu sehen, dass es möglich ist zu verhindern, dass Leute mit diesem ganzen frei erfundenden Quatsch tatsächlich öffentlich zu Deutschlands Top-Terroristen gemacht werden und das dann auch bleiben, fühlt sich gut an. Auch wenn wir noch einiges vor uns haben.
Nebenbei ist das alles wahnsinnig anstrengend, ich bin jetzt am Ende der Woche vor allem müde. Der ganze Wirbel permanent, dazu zwei Kleinkinder, und noch ein bisschen sonstiges Leben, das macht urlaubsreif.
Lars Sobiraj: Die Einträge auf deinem Weblog haben offensichtlich viele Menschen sehr nachdenklich gestimmt. Einige der Verdachtsmomente, die als Grund für eure Überwachung angegeben wurden, würden auf unglaublich viele Personen in Deutschland zutreffen. Außer euch beiden leben noch millionen andere Menschen in diesem Land, die sowohl gebildet, unauffällig, auf ihre Privatsphäre bedacht und irgendwie links eingestellt sind. Was meinst du, sollten die jetzt alle beim Bloggen vermehrt auf das Vermeiden bestimmter soziologischer Fachbegriffe achten? Oder artet das in Paranoia aus?
Anne Roth (annalist): Sehr schöne rhetorische Frage ;) Ich glaube, dass gab es seit externer Link in neuem Fenster folgtEchelon, dass Menschen unter ihre E-Mails ein paar Vokabeln wie 'Bombe', 'Anschlag', 'geheim' etc geschrieben haben, um damit die Überwachung auf Trab zu halten und gegen die totale Speicherung zu protestieren. Natürlich halte ich nichts davon, sich jetzt irgendwie einzuschränken - letzten Endes ist doch der Kontrollwahn der InnenpolitikerInnen der direkte Weg ins Orwellsche 1984, permanente Angst und damit Konformität. Nichts mehr zu sagen und dann zu hoffen, dass es dich nicht trifft ist eine nachvollziehbare Reaktion, die nur leider nichts nützt. 1. macht es keinen Spaß, ein Leben in permanenter Angst davor zu leben, dass du doch irgendwie auffällst und 2. ist jetzt wohl ziemlich deutlich geworden, dass wir selber nicht wirklich beeinflussen können, ob wir in die Raster geraten. Und das einzige, was hilft, ist meiner Ansicht nach, laut und deutlich zu sagen, dass uns das nicht gefällt. Wenn das nicht mehr geht, ist es einfach alles zu spät.
Lars Sobiraj: Wenn wie kürzlich geschehen euch am selben Tag auf völlig unterschiedlichen Streckenabschnitten in der Straßenbahn der gleiche Beamte begleitet, kann dies zumindest als sehr ungeschickt bezeichnet werden. War die Observierung vom BKA schlichtweg tollpatschig organisiert oder vermutest du dahinter eine andere Absicht? (So quasi als Hinweis eure Familie befindet sich noch immer im Fokus der Ermittlungen)
Anne Roth (annalist): Darüber habe ich in letzter Zeit mit vielen Leuten geredet. Ich glaube, dass das Absicht ist. Das BKA ist ja keine Anfänger-Behörde, die stecken vermutlich relativ viel Geld in Ausbildungs- und Personalkosten. Die lange Geschichte bringt wohl auch allerhand externer Link in neuem Fenster folgtErfahrung mit, würde ich denken. Verdeckte Ermittlungen sollen schon an sich eben das sein: verdeckt. Und wenn sie wollen, dann schaffen sie das sicher. Deswegen denke ich, dass es darum geht, uns ein bisschen verrückt zu machen. Gleichzeitig sind gerade die technischen Pannen teilweise so komisch, dass ich mir vorstellen kann, dass ihnen das vielleicht gar nicht klar ist, wie sich manche Sachen auswirken - normalerweise kriegen sie vielleicht nicht soviel Feedback? Vielleicht sollten wir mal fragen, ob wir das bezahlt kriegen können..
Lars Sobiraj: Ich fand es unglaublich mutig die Verfolger durch deine Veröffentlichungen ein Stück weit selbst zu beobachteten und Verfolgten zu machen. Viele Menschen würden sich in der gleichen Situation aus Angst einfach in sich und ihre vier Wände zurückziehen und sonst nichts tun. Welche konkreten Auswirkungen hatte und hat die Überwachung auf euer Leben? Achtet ihr noch immer vermehrt auf das was ihr tut und sagt? Oder ist einem das irgendwann egal, weil man vielleicht im Laufe der Zeit eine Art Trotzhaltung angenommen hat?
Anne Roth (annalist): Mir ist es immer noch ständig sehr bewusst, dass sie da sind. Ich weiß ja z.B. nicht, ob in unserer Wohnung Wanzen sind und wenn ja, wo. Das Gefühl, dass da permanent wer zuhört, ist sehr unangenehm. Ich weiß inzwischen, dass die Telefonate nicht aufgezeichnet werden, sondern da immer Leute live sitzen und zuhören. Das völlig zu ignorieren, schafft wahrscheinlich niemand. Es beeinflusst mich nicht mehr so stark wie am Anfang, was auch damit zu tun hat, dass ich das Gefühl habe, dass sie Andrej jetzt nicht mehr wirklich als Terroristen für Jahre in den Knast stecken können. Das war am Anfang anders. Die öffentliche Reaktion und dann die des BGH haben dabei sehr geholfen.
'Trotzhaltung' trifft es vielleicht ganz gut. Ich habe wochenlang darüber nachgedacht, ob ich anfange zu bloggen. Natürlich hatte ich Angst vor der Reaktion - halten mich alle für paranoid? Was machen BKA und Verfassungsschutz? Von Spam-Bombardements bis zu einer Gegenreaktion in rechten Publikationen habe ich mit allem gerechnet. Außerdem befand ich mich ja vorher in der nicht ganz so schrecklichen Rolle, bloss 'die Freundin von' zu sein, die nach Aktenlage für die Behörden völlig unbekannt und uninteressant ist. Jetzt zeige ich relativ deutlich, dass ich auch denken kann und mich nicht in der Regel unter dem Tisch verstecke, und war mir nicht so sicher, wohin dass heutzutage führt.
Inzwischen mache ich auch das Handy wieder ab und zu aus, wenn ich nicht will, dass sie zuhören. Und merke, dass Bloggen das beste war, was ich tun konnte, weil ich fast ausschließlich sehr positive und unterstützende Reaktionen kriege. Das macht es einfacher, mit der Situation fertig zu werden und mir persönlich geht es auch einfach viel besser damit, das alles nicht runterzuschlucken und nur mit mir alleine auszumachen. Kann ich nur dringend empfehlen, und machen jetzt ja auch mehr Leute.
Bisher war es, glaube ich, immer so, dass Linke, die solche Verfahren hatten, innerlich so eine Art Ritterrüstung angezogen haben und sich jenseits von sehr starren Erklärungen öffentlich gar nicht mehr geäußert haben. Ich halte das für falsch. Für mich ist das kein Zweikampf zwischen Beschuldigten und Behörden, sondern ein Kampf, der nur mit (also: in) der gesamtem Gesellschaft geführt werden kann - ein sehr politischer Kampf, um es mal ganz pathetisch auszudrücken, um Meinungen, Deutungshoheit, die politische Richtung und letzten Endes, jetzt noch pathetischer, um Macht. Die Waffen sind hier ein bisschen ungleich verteilt, aber das heisst nicht, dass wir es nicht versuchen sollten. Und es gehört zu meinen Grundüberzeugungen, dass für gesellschaftliche Veränderungen alle Menschen 'mitkommen' müssen und der erste Schritt dazu sind immer öffentliche Debatten.
Lars Sobiraj: Wie viel kann man deiner Meinung nach mit der Publikation persönlicher Eindrücke auf einem Weblog wirklich bewegen? In der heutigen Zeit hat viele Bundesbürgerinnen und Bürger eine umfassende Trägheit und Gleichgültigkeit erfasst. Viele denken, dass sie sowieso nichts ausrichten können.
Anne Roth (annalist): Naja, ich bilde mir nicht ein, dass mit Blogs wirklich viel verändert wird. Sie sind im besten Fall ein Teil öffentlicher Auseinandersetzung. Die Blogosphäre ist immer noch eine relativ exklusive Angelegenheit, deswegen würde ich das nicht überbewerten. In meinem Fall war die Wirkung ziemlich weitreichend, was natürlich damit zu tun hat, dass ein Terrorismus-Verfahren in Zeiten von Vorratsdatenspeicherung & Co einfach sehr viel Aufmerksamkeit erhält. Die Nahaufnahme, der direkte Blick in Terroristens Wohnzimmer, hat sicher eine Rolle gespielt und der Gruselfaktor ist ja auch nicht unerheblich. Schreiben können hilft sicher auch.
Ich finde, dass Bloggen eine gute Möglichkeit ist, die eigene Meinung unzensiert öffentlich zu machen. Wieviel das gegen die Trägheit vieler Menschen gegenüber der Überwachungsgesellschaft ausrichten kann, in der wir ja de facto schon leben, kann ich auch nicht sagen. Ich bin nicht sehr optimistisch, andererseits bin ich natürlich dafür, es zu versuchen, denn alles andere ist auch nicht wirklich eine Alternative. Ich glaube aber auch, dass am Computer sitzen alleine nicht viel ändern wird.
Bezüglich der Besucherzahlen: am Anfang hatte ich ca. 4-5.000 Besucher auf meinem Weblog, ein Artikel erreichte sogar knapp 15.000, glaube ich. Inzwischen hat es sich bei 4-500 eingependelt, mit Ausnahme eines Artikels, der sich nicht mir Überwachung, sondern nackten Frauen beschäftigt, und da sinds inzwischen über 1000. ;)
Lars Sobiraj: Die netaffinen Spatzen haben von den Dächern gepfiffen, dass eure Preisverleihung Ende Dezember auf dem externer Link in neuem Fenster folgtChaos Communication Congress stattfinden wird. Habt ihr vom Bündnis für die Einstellung des § 129a bereits spannende Einsendungen bezüglich der Definition von Terrorismus erhalten? (Gibt es schon einen Favoriten innerhalb der Jury?)
Anne Roth (annalist): Oh je ;) . Wir haben gerade beschlossen, die Preisverleihung zu verschieben, weil die Beteiligung doch etwas träge ist und andererseits allerhand Leute signalisiert haben, dass sie noch Zeit brauchen. Und wir nach den letzten vier Monaten auch etwas aus der Puste sind. Ich selber werde aber auf jeden Fall beim Kongress sein und über meine Leben als 'Frau vom Terroristen-Andrej' (Zitat Fefe) erzählen. Das war eine sehr nette Einladung: eine Stunde im großen Saal, ich bin durchaus ein bisschen aufgeregt.
Und das Preisausschreiben läuft also noch ein bisschen weiter. Wir haben schon allerhand Einsendungen, (fast) alle auf der externer Link in neuem Fenster folgtSeite zu sehen. Das ist *die* Gelegenheit, sich nochmal Gedanken zu machen und was Hübsches einzureichen. Wir freuen uns auch weiter über attraktive Preisspenden!
Lars Sobiraj: Gibt es Überlegungen irgendwann in den nächsten Jahren auszuwandern, wenn sich der Wind gelegt hat?
Anne Roth (annalist): Um Gottes Willen! Geht gar nicht - ich glaube, wenn Andrej auch nur daran denken würde, würden sie ihn wahrscheinlich wegen Fluchtgefahr sofort wieder festnehmen. Im Ernst: können wir nicht, weil ja vorläufig immer noch ein Verfahren läuft gegen ihn, das ihn dann jetzt wohl beschuldigt, einer kriminellen Vereinigung anzugehören.
Abgesehen davon wüsste ich auch nicht wirklich wohin, denn in den meisten anderen Staaten, deren Sprachen ich kann, sieht es nicht so viel besser aus oder ich würde aus anderen Gründen da nicht hin wollen. Und schließlich ist es mit einem Stadtsoziologen, der am besten deutsch kann und als Terrorist verschrieen ist, auch nicht so einfach, umzuziehen. Vielleicht sollten wir Lotto spielen...
Lars Sobiraj: Anna. Zunächst vielen Dank dafür, dass du dir so viel Zeit für uns genommen hast. Dir und deiner Familie wünsche ich weiterhin viel Kraft und Mut, um die seit Monaten anhaltende Situation möglichst schadlos überstehen zu können.
Ich bin nach dem Studium deines Blogs ebenfalls ins Grübeln gekommen. Nachdem man eure Geschichte verfolgt hat, wird man bei Zwischenfällen plötzlich skeptisch, die man vorher nur als technisches Versagen abgetan hätte. Paranoia sollte als Folge nicht plötzlich ausbrechen. Aber vielleicht kann man als Außenstehender der ganzen Angelegenheit doch etwas Positives abgewinnen. Wenn die Geschichte von Anna und Andrej dazu beigetragen konnte, dass wir über die Methoden der Ordnungshüter jetzt kritischer nachdenken als zuvor. In dem Fall könnte man sagen, der Vorfall war zumindest nicht ganz umsonst.
Die Bilder mit Ausnahe des Fotos von Anne wurden kürzlich im Leipziger Stasi-Museum (Museum in der runden Ecke) aufgenommen. Fotos: Lars Sobiraj