Irgendwie links, irgendwie politisch Mono für Alle!, ein Fall für den Staatsschutz (Interview)
Wer noch immer glaubt, nichts zu verbergen zu haben, sollte nach dem Fall Andrej Holm eines Besseren belehrt sein. Der Soziologe geriet durch Verwendung "verdächtiger "soziologischer Fachbegriffe uns Visier des BKA, wurde wochenlang eingesperrt und mitsamt seiner Familie totalüberwacht. Hochschulstudium braucht es aber nicht für solche Maßnahmen: auch durch das Spielen in einer linken Combo kann man sich für verdeckte BKA-Observationen qualifizieren. So geschehen bei der Band "Mono für Alle".
Gegen die ermittelt seit knapp einem Jahr die StA Stuttgart und die StA Gießen wegen der "Anleitung zu Straftaten". Und neben den Staatsanwaltschaften wurde natürlich auch gleich der Staatsschutz eingeschaltet: dieser observierte das Umfeld der Bandmitglieder, besuchte Bekannte und Familienangehörige, durchforschte Schulakten, befragte Konzertveranstalter und trug sich auch noch in der Mailingliste des Mono für Alle!-Fanclubs ein.
Warum? Von MfA existiert ein Lied "Amoklauf", und wenn ein Schüler andere und sich selbst umbringt, können daran natürlich nicht seine privaten Lebensumstände oder seine strukturelle Chancenlosigkeit schuld sein, sondern eine böse, linke Combo, die auf perfide Art und Weise an sich friedliche Menschen mit ihren Songtexten zu Killermaschinen mutieren läßt. Übertriebene Darstellung? In den Fallunterlagen findet sich folgende Behauptung eines der ermittelnden Staatsanwälte:
"Die Band 'Mono für Alle' hat ein Lied mit dem Titel 'Amoklauf' produziert, das derzeit Anlass von sogenannten School Shootings ist und war (Erfurt!)..."
Belegt wird das mit einem Bandinterview, in dem seitens der StA beispielsweise die Passage unterstrichen wurde, dass die Band zwei Wochen vor dem Amoklauf in Erfurt gespielt hätte oder dass die Landesanstalt für Kommunikation LFK den Song mit einem Sendeverbot bis frühestens 22 Uhr belegte.
Dass die Band den Text als Aussage gegen Amokläufe verstanden wissen will oder die LFK dem Stück die in Art. 5 Grundgesetz garantierte Freiheit der Kunst bescheinigte - "Es entspricht den Gattungsanforderungen der Dichtung und Komposition und betrifft, durch seine Verbreitung während einer Rundfunksendung, den Wirkbereich eines Kunstwerkes" - interessierte indessen weniger.
Es folgt eine Justizposse, die zum Lachen wäre, führte sie nicht zur umfassenden Observierung der Band und ihres privaten Umfeldes. So war die StA offenbar monatelang nicht in der Lage, eine Whois-Abfrage der Band-Homepage durchzuführen - Inkompetenz, über die man lachen könnte, wenn daraus nicht abgeleitet worden wäre, dass es
"...bedingt durch das extrem konspirative Vorgehen der Band keinerlei Anhaltspunkte zur Identifizierung der Mitglieder gibt (...) nach Ansicht von Uz. besteht die einzige Möglichkeit der Identifizierung im Rahmen einer Kontrolle bei/im Vorfeld eines Konzertes."
Was dann auch geschah: auf einem Musikfestival scheiterte eine Vernehmung der Band an der Überlastung der dortigen Polizei. Nachdem - immerhin acht Monate nach Ermittlungsbeginn - erfolgreich ein Whois durchgeführt wurde, sammelten die Staatsschützer nicht etwa beim ermittelten Betreiber Informationen, sondern bei Familienangehörigen, Bekannten und auf der ehemaligen Schule der Band. Zu diesem Zeitpunkt erfuhren dann auch die Bandmitglieder über Umwege von den gegen sie laufenden Ermittlungen.
So weit, so schlecht - wie ging die Geschichte weiter? Mono für Alle! brachte uns auf den neuesten Stand.
Korrupt: Ihr habt euch einen Anwalt genommen und Einblick in die Ermittlungsakten erhalten. Wie gehts jetzt weiter, was will der Staatsschutz noch von euch wissen, plant ihr Gegenmaßnahmen, über die ihr öffentlich reden könnt?
MONO: Wir müssen erstmal abwarten, wie die Staatsanwaltschaft weiter vorgeht. Wir haben vor über 4 Wochen die Einstellung des Verfahrens beantragt, bisher ohne jegliche Reaktion der Behörden. Demnach müssen wir davon ausgehen, dass die Ermittlungen andauern. Möglicherweise haben die Ermittler auch noch andere Aktionen gemacht, die bisher noch nicht aus den Akten ersichtlich sind. Das muss erstmal alles geklärt werden. Anfang November gab es z.B. eine Durchsuchung der Kanzlei sowie der Privatwohnung unseres Anwaltes inklusive Computer-Manipulation, letzteres ohne rechtskräftige Durchsuchungsanordnung. Diese Aktion hatte zwar offiziell nichts mit unserem Fall zu tun, unser Anwalt schließt aber Zusammenhänge nicht aus. Wir müssen erstmal unsere rechtlichen Möglichkeiten prüfen und können dann eventuell ein Verfahren gegen die verantwortlichen Akteure ankurbeln. Es laufen ja aktuell in Gießen schon einige Verfahren gegen Staatsanwaltschaft und Staatsschutz und erst kürzlich hat das OLG Frankfurt die Methoden des Giessener Staatsschutzes mit der Nazi-Zeit verglichen und Nachbesserungen gefordert. Mal sehen, was da noch alles kommt...
Korrupt: Die "ich habe ja nichts zu verbergen" - Haltung ist ja noch immer weit verbreitet. Wie haben eure Bekannten reagiert, als der Staatsschutz Fragen zu euch stellte? "Die werden auch nichts zu verbergen haben"? Oder fiel der eine oder andere "Soll ich jetzt meine Freunde bespitzeln?"-Groschen? Was und wie wurde euch von den Staatsschutz-Befragungen von wem berichtet?
MONO: Also, mein Vermieter beispielsweise war ziemlich verunsichert, als die Staatsschützer seiner Lebensgefährtin am Telefon erzählten, ich würde von der Polizei gesucht. Da musste ich mich erstmal erklären. Wenn das Verhältnis weniger gut wäre, könnte durch solche Aktionen das Mietverhältnis gestört werden und ich denke, das war auch Ziel dieses Anrufes. Genauso wie die Befragung von Familienangehörigen, bei der u.a. auch der Tatvorwurf mitgeteilt wurde. Die meisten Leute glauben ja erstmal alles, wenn eine staatliche Autorität am Telefon ist. Unserer Auffassung nach sollte Druck über die Angehörigen auf uns ausgeübt werden. Auch die Kontaktaufnahme zu den Veranstaltern ist für uns mehr als fragwürdig. Die Ermittler hätten uns jederzeit persönlich kontakieren könne, das haben sie allerdings nie getan. Genauso wenig verfolgten sie das Ziel, zu klären, ob der Amoklauf-Text tatsächlich eine Anleitung zu Straftaten darstellt. Es gab genügend Indizien, die bereits einen Anfangsverdacht ausgeschlossen hätten - diese wurden von den Ermittlern jedoch ignoriert.
Korrupt: Stichwort Schere im Kopf. Kontrovers sind eure Texte allemal, wenngleich sie wohl das drüber nachdenken lohnen. Wenn ein Text wie "Amoklauf" nun derartige Konsequenzen hat, geht ihr nun anders vor beim Texten? Ist das noch dasselbe wie vorher, oder macht man sich Gedanken über Formulierungen dahingehend, ob das bei irgendwelchen Ermittlern in den falschen Hals geraten könnte, weitere Ermittlungen usw. nach sich ziehen könnte?
MONO: Wir werden nicht anders beim Texten vorgehen als bisher, im Gegenteil. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaften und Staatsschützer bestätigt nur den systemkritischen Charakter unserer Songs. Die aktuellen Ereignisse schreien ja regelrecht nach weiteren Songs zu diesem Thema und natürlich geht es dabei auch um die Frage, wie weit ein Künstler beim Texten überhaupt noch gehen darf. Wir hoffen auch sehr, dass sich andere Künstler nicht von solchen Staatsschutz-Aktionen einschüchtern lassen. Bedenklich finden wir z.B. die Reaktion einer Youtube-Userin, die ein selbstgemachtes Amoklauf-Video gelöscht hat, aus Angst vor Ermittlungen. Hier zeigt sich konkret, wie die Staatsanwaltschaften und der Staatsschutz mit ihrem Verhalten die Kunstfreiheit einschränken, ohne das es überhaupt zu einer Verurteilung kommen muss.
Korrupt: Der "Amoklauf" - Text ist externer Link in neuem Fenster folgtnach wie vor im Netz. Wenn der so brandgefährlich ist und zweifellos harmlose Schüler zu mordenden Killermaschinen macht: kam da noch keine Löschungsaufforderung?
MONO: Bisher kam noch keine Löschungsaufforderung. Dafür fehlt ja auch jede rechtliche Grundlage und wir denken das wissen auch die Staatsanwaltschaften. Eine Löschungsaufforderung könnte erst nach einem entsprechenden Gerichtsurteil erfolgen. Das wird es jedoch hoffentlich nie geben, wobei wir nach dem Hakenkreuz-Urteil aus Stuttgart und einigen anderen Gerichtsentscheidungen diesbezüglich skeptisch geworden sind. Etwas komplett anderes wäre eine Indizierung, die meisten Leute - auch Fans - verwechseln Indizierung mit Anleitung zur Straftat. Das zeigt auch, dass sich viele der Bedeutung eines solchen Verfahrens gar nicht bewusst sind.
Korrupt: Wenn wir schon bei Texten sind - für sich allein sind die ja häufig, hm, ne Art Monolog einer Person mit nicht unbedingt dem Mainstream entsprechenden Ansichten, der ohne große Bewertung oder Kommentar vorgetragen wird. Für sich allein wüsste ich nicht unbedingt, wie ich nen Text wie "Amoklauf", "Erich Honecker, komm zurück", "11. September" oder "Gewalt gegen Sachen" verstehen sollte. Nebeneinander gestellt, hab ich den Eindruck, mit der Nase auf die Tatsache gestoßen zu werden, dass es Leute gibt, die eben so ticken, und dass ich nicht umhinkomme, mich mit diesen Ansichten auseinanderzusetzen. Es ist ja nicht so, dass ich politisch weit weg von euch bin, daher das Gegenbeispiel: wenn ich manche Stammtischstatements höre oder lese, dann krieg ich ja gelegentlich das Knochenkotzen, trotzdem komm ich nicht umhin, diese Information als nützlich zu begreifen im Sinn von "Wenn ich dagegen was tun will, muss ich diese Ansichten und Denkweisen kennen". Wie wollt ihr eure Texte verstanden wissen und von wem?
MONO: In unseren Texte versetzen wir uns meist in irgendwelche Leute, deren Handeln uns in irgendeiner Form beschäftigt. Vor allem sind das Themen, die in der Kunst und speziell in der Musik wenig bis gar keine Beachtung finden, also z.B. Amokläufer, Randale-Kiddies, Langweiliges-Spießer-Leben usw... Wir sind davon überzeugt und wir wissen es auch von den vielen Diskussionen mit Fans, das die Texte gerade nicht zum Amoklaufen o.ä. anstiften sondern im Gegenteil: Für viele Leute ist die Musik ein Ventil für angestaute Aggressionen und andere Gefühle oder Gedanken. Unsere Texte regen zu Diskussionen über die besungenen Themen an, so dass die Gedanken nicht im Verborgenen bleiben - es findet ein Austausch statt. Der Vorwurf "Anleitung zu Straftaten" ist völlig abstrus, demnach müsste ja fast jeder Kinofilm und jedes Buch verboten werden.
Korrupt: Danke für die Antworten - und gute Nerven und viel Glück für euch und die Leute um euch rum wünsch ich.