Brandanschläge sind kein Terrorismus

BGH setzt Haftbefehle gegen mutmaßliche Mitglieder der "militanten gruppe" außer Vollzug

BERLIN. Bei den Ermittlungen gegen die linksgerichtete "militante gruppe" (mg), die Brandanschläge verübt haben soll, musste die Bundesanwaltschaft eine Niederlage einstecken. Der Bundesgerichtshof (BGH) widersprach gestern der Einschätzung der Karlsruher Ermittler, die mg sei eine terroristische Gruppe. Die Beschuldigten seien zwar der Zugehörigkeit zur mg verdächtig. Deren Taten aber seien nicht geeignet, die Bundesrepublik erheblich zu schädigen. Damit entfalle die Voraussetzung für eine Verfolgung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, befand der 3. Strafsenat. Er setzte die Haftbefehle gegen drei Beschuldigte außer Vollzug.

Von Sigrid Averesch

Die Ermittlungen gelten als ein Pilotverfahren für die Einstufung mutmaßlicher politischer Extremisten als Terroristen. Das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft hatten ihre Ermittlungen auf den Paragraf 129a Strafgesetzbuch (StGB) - Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung - gestützt. Sie gingen davon aus, dass es sich bei den Mitgliedern der mg um sogenannte Feierabend-Terroristen handele, die nicht im Untergrund lebten, sondern einer geregelten Arbeit nachgingen. Sie machen die mg für 25 Brandanschläge auf Fahrzeuge und staatliche Gebäude in Berlin und Brandenburg verantwortlich. Als Beleg führten die Ermittler auch das Ziel der mg an, eine kommunistische Weltordnung aufzubauen.

Der BGH verwies in der Grundsatzentscheidung darauf, dass die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach dem von Rot-Grün geänderten Paragraf 129a StGB an enge Voraussetzungen geknüpft ist. So müssen die Straftaten dazu bestimmt sein, die Bevölkerung einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates erheblich zu beeinträchtigen.

Dies alles sahen die Richter bei den Anschlägen der mg nicht als gegeben an. Zwar handele es sich bei deren Taten um potenziell terroristische Delikte. Doch die gesetzlichen Einschränkungen führten dazu, dass die mg lediglich als kriminelle Vereinigung angesehen werden könne. Damit folgte der BGH der Einschätzung der Verteidiger, die Beschwerde gegen die Haftbefehle der vier Festgenommenen eingelegt hatten. Der Haftbefehl gegen Andrej H. war Ende Oktober aufgehoben worden. Jetzt kommen auch die drei anderen frei.

Der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann, begrüßte dies. "Der BGH hat dem Verfolgungseifer der Bundesanwaltschaft Grenzen gesetzt", sagte Ratzmann der Berliner Zeitung. Bei aller Notwendigkeit, terroristische Taten zu verfolgen, müssten Ermittler aber sehr sorgfältig überlegen, welche Instrumentarien sie anwenden. "Das Vorgehen des Bundesanwaltschaft würde zu einer nicht mehr steuerbaren Verfolgungspraxis angeblich terroristischer Taten führen", kritisierte er. Er forderte die Ermittler auf, zu normalen Maßstäben zurück zu finden.

Auch die Vize-Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, bewertete das Urteil positiv. Es sei absolut richtig, dass der BGH eine rote Linie für die Strafverfolger gezogen habe, sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung. Zugleich betonte sie: "Der Beschluss des BGH macht den Rechtsstaat keineswegs zahnlos. Die Brandanschläge der linksextremen Szene können auch weiterhin hart bestraft werden." Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Gehb, stellte dagegen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Frage: "Wie viele Autos müssen eigentlich brennen, bevor man sich wegen Terrorismus strafbar macht?"