Schlau genug für militante Texte
In einem Brandbrief wandte sich die sonst wenig alarmistische "Rosa-Luxemburg-Stiftung" in Bremen am Samstag an ihre Unterstützer. Der Grund: Andrej H., ehemaliger Stipendiat der Stiftung, war Ende Juli unter dem Verdacht, Mitglied der "militanten gruppe" (MG) zu sein, in Berlin festgenommen worden.
Empört zeigte sich die RLS über die "Indizien", die zur Festnahme H.s führten. H. habe 1998 eine Abhandlung veröffentlicht, die Phrasen enthalte, die in Texten der MG verwendet werden, so die Bundesanwaltschaft (BAW). Zudem sei er "intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der MG zu verfassen". Schließlich stünden ihm "als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der Texte der MG erforderlichen Recherchen durchzuführen".
"Furcht erregend", nennt der Bremer Ökonom Jörg Huffschmidt die Argumente der BAW. Für Huffschmidt, bei der RLS für die Bremer Stipendiaten verantwortlich, stünden damit "wissenschaftlich Tätige unter Totalverdacht". Der Staat übe eine "dramatische Einschränkung bürgerlicher Freiheiten" aus. Er sei "verblüfft" über die "Unverfrorenheit" der BAW.
Auch Florian Wilde, Historiker aus Hamburg, bezieht derzeit ein Promotionsstipendium der RLS. Sein Thema, der historische Kommunismus, könne theoretisch gleichfalls "jederzeit von der MG aufgegriffen werden". Offensichtlich wolle der Staat unterbinden, "dass wissenschaftliche Forschung einen Beitrag zu sozialen Bewegungen" leiste, so Wilde. "Die Globalisierungskritik der letzten Jahre, die Proteste gegen Hartz IV, dann der G 8-Gipfel: Widerstand erlebt eine Renaissance, und dieser braucht ein theoretisches Fundament." Zwar sei die "militante gruppe" "nicht unbedingt ein Paradebeispiel für soziale Bewegungen", doch die Repression gegen sie stehe im Kontext der Repression gegen die Hartz IV- und G 8-AktivistInnen.
Derweil tauchten in der vergangenen Woche an der Bremer Universität Plakate mit täuschend echt aussehenden Fahndungsaufrufen des Landeskriminalamtes Bremen auf. Eine nicht existierende "Sonderkommission Linksterrorismus" bat darin um die "vertrauliche" Meldung von Personen, auf die die gegen Andrej H. ins Feld geführten Merkmale zutreffen - ein an Universitäten durchaus verbreitetes Persönlichkeitsprofil. Unangenehm berührt schien die Bremer Polizei, durch die Kommunikationsguerilla-Aktion mit dem forschen Vorgehen in Karlsruhe in Verbindung gebracht zu werden: "Die Motive der Künstler bleiben im Dunkeln. Womöglich wollte man damit die Institutionen des Staates ärgern", mutmaßt Polizeisprecher Heiner Melloh. "Von Studierenden sollte man nicht erwarten, dass sie das ernst nehmen", so Melloh. Es werde geprüft, "ob da überhaupt irgendein Straftatbestand vorliegt".
Wenig Substanzielles kann die BAW auch im Zusammenhang mit der bundesweiten Razzia gegen 18 G 8-Gegner vom 9. Mai vorweisen. Den Anwälten sei in der Zwischenzeit "teilweise Einsicht in digitalisierte Akten" gewährt worden, so einige der Beschuldigten. "Wahnsinnig" sei der Umfang der angesammelten Dokumente: "33 Ordner mit 400 bis 600 Seiten durften eingesehen werden - das waren aber nur zwölf Prozent des gesamten Materials." Insgesamt seien über 80.000 Seiten an den Bundesgerichtshof weitergeleitet worden.
Positiv wertet ein Beschuldigter aus Bremen die Stellungnahme der BAW zu seinem Widerspruch gegen die Dokumenten-Beschlagnahme: "Zwei Monate nach der Razzia haben sie genau die gleichen Argumente wie beim Antrag für den Durchsuchungsbeschluss im Mai vorgetragen. Sie haben also offensichtlich nichts Neues."
Viele der Hamburger Betroffenen warten noch immer auf die Rückgabe ihrer Computer. Lediglich die in der "Roten Flora" beschlagnahmten Geräte sind inzwischen wieder komplett ausgehändigt worden. Der Physiker Fritz Storim von der Messstelle für Arbeit- und Umweltschutz (Maus) und Universitätsdozent in Bremen, beklagt, dass sämtliche beschlagnahmten Maus-Unterlagen immer noch einbehalten werden. "Wir sind in unserer Arbeit total blockiert," so Storim.
Während der Razzia am 9. Mai waren von ihm und anderen Beschuldigten Geruchsproben genommen worden. Hierzu mussten sie einen Stab halten, der ihren Körpergeruch aufnahm. Hunde sollten eine Übereinstimmung dieser Proben mit Geruchsrückständen von politisch motivierten Brandstiftungen in Hamburg prüfen. Eine Anfrage der Grünen im Bundestag ergab, dass die Hunde keine Übereinstimmungen feststellten.