militante gruppe nur noch »kriminell«

»Terrorismus« erst bei erheblicher Staatsgefährdung / BGH setzt Haftbefehle außer Vollzug. Der Bundesgerichtshof hat die Hürden für die Bewertung politisch motivierter
Brandanschläge als »Terrorismus« höher gelegt. Nach einer gestern veröffentlichten Entscheidung wird die »militante gruppe« nicht mehr als »terroristische Vereinigung« eingestuft. Die Richter setzten die Untersuchungshaft gegen drei Beschuldigte gegen Auflagen außer Vollzug.

Berlin (ND). Der Bundesgerichtshof hat gestern die Haftbefehle gegen drei angebliche Mitglieder der linksradikalen »militanten gruppe« außer Vollzug gesetzt. Axel H., Florian L. und Olli R. kommen nach vier Monaten im Gefängnis frei, müssen sich aber wöchentlich bei der Polizei melden, eine Sicherheit von 30 000 Euro leisten und weitere Auflagen erfüllen.

Die Karlsruher Richter hatten sich grundsätzlich mit der Frage beschäftigt, ob die der »militanten gruppe« zugerechneten Brandanschläge ausreichen, diese als »terroristische Vereinigung« einzustufen. Zwar handele es sich um potenziell terroristische Taten nach dem umstrittenen Paragrafen 129a Strafgesetzbuch, so nun der BGH. Dieser sei jedoch seit einer Neufassung aus dem Jahr 2003 nur noch anwendbar, wenn die Taten nicht nur staatsgefährdende Ziele verfolgten, sondern darüber hinaus einen Staat auch erheblich
schädigen könnten. Die Aktionen der »militanten gruppe« hätten dagegen »einen eher nur propagandistischen Effekt mit potenzieller Mobilisierungswirkung bei Gleichgesinnten«, so der BGH. Die Anschläge seien nicht geeignet gewesen, eine »erhebliche Schädigung der politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen der
Bundesrepublik« zu erreichen.

Die Bundesanwaltschaft hatte die »militante gruppe« bisher als »terroristische Vereinigung« eingestuft und entsprechende Ermittlungsbefugnisse gegen die linke Szene in Anspruch genommen. Nach Ansicht des BGH könne die Gruppe jedoch nur noch als »kriminelle
Vereinigung« gelten.

Die Bundesanwaltschaft bleibt aber dennoch für die Ermittlungen gegen die »militante gruppe« zuständig. Ein Sprecher verwies auf die »besondere Bedeutung des Falles«. Normalerweise ist die Bundesanwaltschaft für Ermittlungen gegen »kriminelle Vereinigungen« nicht zuständig.

Der »militanten gruppe« werden eine Reihe von Brandanschlägen gegen öffentliche Einrichtungen sowie Polizei und Bundeswehr zur Last gelegt. Ausdrücklich hatte die Gruppe betont, Menschen nicht gefährden zu wollen. Innerhalb der linksradikalen Szene hatten die der »militante gruppe« zugerechneten Aktionen eine neuerliche Debatte über Militanz entfacht.

Zudem hatte die Inhaftierung des Berliner Soziologen Andrej Holm im Zusammenhang mit den Ermittlungen für öffentliches Aufsehen gesorgt. Holm war lediglich wegen vager Übereinstimmungen in Texten sowie angeblicher Kontakte zu anderen Verdächtigen in Untersuchungshaft genommen worden, er kam inzwischen jedoch wieder frei.

Ulla Jelpke von der Bundestags-Linksfraktion begrüßte die »überfällige Entscheidung«. Damit habe der Bundesgerichtshof »dem inflationären Gebrauch der Terrorismuskeule durch die Bundesanwaltschaft eine Schranke gesetzt«.