"Harms hat kein Augenmaß"
Die Nachricht war eine Ohrfeige für Generalbundesanwältin Monika Harms: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die linksextreme "Militante Gruppe" nicht mehr als terroristische Vereinigung eingestuft werden darf. stern.de sprach darüber mit dem Politikwissenschaftler Peter Grottian.
Herr Grottian, was bedeutet das Urteil im Hinblick auf das Vorgehen von Generalbundesanwältin Monika Harms?
Der Bundesgerichtshof hat den sicherheitszugerichteten Rechtstaat ein wenig gebremst. Das ist ganz klar eine Zurückweisung von Frau Harms' Augenmaßlosigkeit. Es gab keine konkreten Anhaltspunkte für die Bildung einer terroristischen Vereinigung durch die "Militante Gruppe". Und trotzdem hat man das Scheunentor geöffnet und das ganze Sammelsurium an Maßnahmen angewandt. Die Generalbundesanwältin wurde offensichtlich miserabel unterrichtet. Dennoch hat sie auf Basis eines Anfangsverdachts eines Anfangsverdachts von einem Anfangsverdacht die Grundrechte massiv und fundamental verletzt. Auch Frau Harms muss sorgfältig begründen, warum sie derartige Schritte veranlasst. In diesem Fall hat sie ihre Sorgfaltspflicht grob fahrlässig verletzt.
Was meinen sie damit konkret?
Man muss die Verhältnismäßigkeit wahren. Die Einstufung als terroristische Vereinigung bringt harte Einschnitte in die Grundrechte mit sich. Niemand bestreitet, dass al Kaida eine Bedrohung ist. Aber dass die Terror-Abwehr zu einem solchen Sicherheitswahn führt, ist schon bedenklich. Man darf den Rechtstaat nicht zu Tode schützen.
Immer wieder wurde das Thema auch im Zusammenhang mit den Protesten rund um den G8-Gipfel diskutiert. Ist die Bundesregierung damals über die Stränge geschlagen?
Mit Sicherheit ist sie das. Auch wenn ein Sicherheitsproblem anerkannt werden kann, dann bleibt immer noch die Frage, wie man dabei demokratische Grundrechte gewährleisten kann. Und das hat auch direkte Auswirkungen auf die Demokratie. Wenn der Rechtstaat sich so verhält, wie er sich verhalten hat, und damit auch die Generalbundesanwältin, dann schädigt er die demokratische Beteiligungskultur.
Hat ein solches Vorgehen langfristige Folgen?
Ich war selbst in Rostock und Heiligendamm. Da waren junge Leute, die haben gesagt: Wir gehen trotz der Hausdurchsuchungen jetzt erst recht hin. Ich habe aber auch von vielen gehört, die aus Angst zu Hause geblieben sind. Das darf nicht sein. Außerdem wurde das ganze Anliegen der Demonstranten nur noch unter dem Sicherheitsaspekt diskutiert. Die berechtigte Botschaft ist hinter einer Sicherheitswolke versteckt worden. Die Demonstranten mussten sich nur noch für die Formen der Demonstrationen rechtfertigen, und konnten ihre inhaltlichen Forderungen kaum noch der Öffentlichkeit vermitteln.
Setzt man in Deutschland Grundrechte zu leichtfertig aufs Spiel?
Der Punkt ist: Setzt durch Ereignisse wie dem G8-Gipfel bei Politikern ein Lernprozess ein? Meine Befürchtung ist, dass sie es bei der nächsten sicherheitsrelevanten Veranstaltung genauso machen.
Sind wir in der Bundesrepublik zu sehr auf Sicherheit fixiert?
Hinter der ganzen Diskussion steht ja eine Grundfrage: Wie viel Demokratie verträgt ein Rechtstaat à la Schäuble? Wir haben historische Erfahrungen in Deutschland - aus dem Jahr 1977. Je extremer die Sicherheitslage geredet wird, oder tatsächlich ist, desto größer die Gefahr von Einschnitten in die Freiheit. Und interessanterweise werden solche Einschnitte auch nicht rückgängig gemacht.
Können sich Bürger heutzutage überhaupt noch gegen Einschnitte in ihre Freiheiten wehren?
Es war schon sehr eindrucksvoll zu sehen, wie das aktuelle Verfahren von Demonstrationen und Veranstaltungen begleitet wurde und sich eine lokale, überregionale und internationale Gegenöffentlichkeit gebildet hat. Und da waren auch wieder viele junge Menschen. Einige von ihnen waren auch schon in Heiligendamm dabei, sie engagieren sich. Es lohnt, sich zu wehren.
Interview: Sebastian Christ