Bundesrichter Winkler zum"mg"-Urteil: "Ein schmaler Grat"

Der frühere Bundesrichter Walter Winkler begrüßt das Urteil, "plakative" Brandanschläge nicht als Terrorismus zu werten. Sympathiewerbung für Terroristen falle nicht darunter.

WALTER WINKLER, 65, war 15 Jahre lang Richter am 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit waren Verfahren gegen terroristische Vereinigungen nach Paragraf 129a. Bundesweit bekannt wurde er im März 2007, als er die Verwendung von Antifa-Symbolen mit durchgestrichenem Hakenkreuz als nicht strafbar erklärte. Seit Sommer ist er im Ruhestand.

taz: Herr Winkler, der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die "militante gruppe" nicht als terroristische Vereinigung einzustufen ist. Ist das eine Einzelfall- oder eine Grundsatzentscheidung?

Walter Winkler: Der 3. Strafsenat hat die Anforderungen des neu formulierten Paragrafen 129 a in dieser Entscheidung grundsätzlich geklärt. Terroristische Vereinigungen, die nur Brandanschläge begehen, müssen ein gewisses Mindestmaß an Gefährlichkeit für den Staat aufweisen. Mit dieser Entscheidung wird die erhebliche Einschränkung des Paragrafen 129 a durch den Gesetzgeber bestätigt und verdeutlicht.

Anfang vergangenen Jahres waren Sie an einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs beteiligt, mit der der "Freikorps Havelland" als "terroristische Vereinigung" charakterisiert wurde. Dabei hatten auch diese jugendlichen Rechtsextremisten nur Brandanschläge verübt.

Dort ging es um Anschläge auf die Geschäfte von Ausländern. Durch diese Attacken sollte die gesamte ausländische Bevölkerung der Region systematisch ihrer Existenzgrundlage beraubt und schließlich vertrieben werden. Dies zielte auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung der inneren Sicherheit. So etwas kann durchaus eine erhebliche Schädigung des Staates zur Folge haben.

Sie sehen also einen Unterschied zwischen Brandanschlägen auf Geschäfte von Ausländern und auf Fahrzeuge der Bundeswehr?

Das kann im Hinblick auf die gesetzlichen Anforderungen, insbesondere die Eignung zu einer erheblichen Schädigung des Staates, sehr wohl einen Unterschied machen. Die Bundeswehr ist sicher nicht so leicht einzuschüchtern, wie es ausländische Mitbürger sind. Aber auch wenn die Anwendung des Paragrafen 129 a an seiner neuer Struktur scheitert, sind Anschläge auf Armeelaster natürlich strafbar, zum Beispiel als Brandstiftung. Und eine Gruppe, die auf das Begehen solcher Taten abzielt, muss in der Regel als "kriminelle Vereinigung" eingestuft werden.

Es laufen auch noch Ermittlungsverfahren gegen militante G-8-Gegner.

Zu dem konkreten Verfahren möchte ich mich nicht äußern. Aber generell wird man sagen können, dass Paragraf 129 a nach der Neufassung kaum mehr anwendbar ist, wenn Brandanschläge einen eher plakativen, demonstrativen Charakter haben und vor allem Aufmerksamkeit für ein politisches Anliegen schaffen wollen. Das war dem Gesetzgeber bewusst.

Bei den militanten G-8-Gegnern ist ja auch umstritten, ob es hier überhaupt eine gemeinsame Vereinigung gab oder ob diese nur von der Bundesanwaltschaft konstruiert wurde.

Die bisherige Rechtsprechung des BGH hat für eine terroristische Vereinigung relativ feste und dauerhafte Strukturen verlangt. Aufgrund des EU-Rahmenbeschlusses zum Terrorismus wird die Schwelle aber wohl gesenkt werden müssen, sodass auch eher lockere Zusammenschlüsse eine terroristische Vereinigung sein können. Das Problem ist die Grenzziehung. Es muss schon noch klar sein, wer dazugehört und wer nicht. Es geht hier immerhin um eine Strafe von bis zu zehn Jahren Haft für die bloße Mitgliedschaft.

Linke Gruppen fordern die Abschaffung des Paragrafen 129 a. Zu Recht?

Nein. Wenn es um Terrorismus geht, brauchen wir eine Vorfeldstrafbarkeit. Es muss auch derjenige bestraft werden können, der eine Vereinigung mit gründet und aufrechterhält, die auf die Begehung von Terroranschlägen abzielt, auch wenn der Betreffende einen solchen Anschlag noch nicht begangen hat.

Der Paragraf 129a wird oft dazu benutzt, die linke Szene auszuforschen, ohne dass es am Ende zu entsprechenden Verurteilungen kommt.

Die bloße Ausforschung darf natürlich nicht das Ziel sein. Aber dass ein Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129 a nicht mit einer entsprechenden Verurteilung endet, heißt nicht unbedingt, dass an der Sache nichts dran war. Oft waren durchaus beachtliche Verdachtsgründe gegeben, die jedoch nicht für eine Verurteilung reichten. Manchmal wurde der Beschuldigte wegen eines anderen Delikts angeklagt.

Die Sympathiewerbung für Terrorgruppen ist seit dem Jahr 2002 nicht mehr strafbar. Die Landesinnenminister fordern, dies wieder zu ändern.

Das halte ich für keine gute Idee. Wenn Sympathiewerbung für Terroristen strafbar ist, bewegt man sich auf einem schmalen Grat zwischen strafbarem Handeln und zulässiger freier Meinungsäußerung. In einem freien Land muss man damit leben, dass auch Äußerungen erlaubt sind, die einem nicht gefallen. Außerdem könnte es durchaus unklug sein, Menschen, die noch außerhalb der Vereinigung stehen und vielleicht etwas unüberlegt ihre Sympathie bekunden, durch die Bezeichnung "Terrorist" zu stigmatisieren und dadurch dem Terrorismus näher zu bringen.

Die Justizministerin Brigitte Zypries schlägt einen neuen Straftatbestand "Vorbereitung von Gewalttaten" vor, der auch für Einzelpersonen gelten soll. Was halten Sie davon?

Diese Pläne begrüße ich. Es scheint mir sinnvoller, konkrete Vorbereitungen von terroristischen Anschlägen strafrechtlich zu erfassen - auch wenn sie von Einzelpersonen begangen wurden -, als vage Kontakte zwischen Personen krampfhaft unter den Vereinigungsbegriff zu pressen.

Zypries will den Besuch eines terroristischen Ausbildungslagers nur dann bestrafen, wenn er in der Absicht geschieht, das Erlernte in Anschlägen anzuwenden. Die Union will auf diese Absicht verzichten. Was empfehlen Sie?

Mir ist klar, dass solche Intentionen nicht leicht zu beweisen sind. Aber ohne das Erfordernis einer terroristischen Intention müsste man die neue Strafvorschrift sehr viel enger fassen.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH