Die gespenstische Brandserie: Schon 101 Anschläge auf Autos
Nur wenige Täter aus der linksextremen Szene wurden bislang gefasst. Bei der Fahndung geraten die Ermittler an ihre Grenzen
Von Jörn Hasselmann
Die Meldungen aus dem Polizeipräsidium sind immer nur drei, vier Zeilen lang: „In der Nacht zündeten Unbekannte in der XY-Straße ein Fahrzeug der Marke ABC an. Da ein politischer Hintergrund nicht auszuschließen ist, hat der Polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen übernommen.“ Gestern musste die Polizei vier dieser Meldungen schreiben: In Kreuzberg, Moabit und Prenzlauer Berg gingen vier Fahrzeuge der Bahn, des Autoverleihers Sixt und Energiekonzerns Vattenfall in Flammen auf, drei daneben stehende Wagen wurden beschädigt.
Damit haben unbekannte Täter mutmaßlich aus der linksextremistischen Szene in diesem Jahr bereits 101 Brandanschläge verübt. Insgesamt 112 Autos wurden zerstört, drei mal so viel wie im Vorjahr. Dutzende weitere Fahrzeuge wurden schwer beschädigt. Geschätzter Schaden: mehr als zwei Millionen Euro.
Überraschend ist nicht nur die hohe Zahl an Taten, sondern auch, dass die Serie nach dem Ende des G-8-Gipfels in Heiligendamm weitergeht. Dieser galt seit dem Frühjahr als Hauptmotivation der Anschläge. Offenbar, so sagen Experten, hätten einige Linksextremisten Geschmack an den Zündeleien gefunden. Das Entdeckungsrisiko sei gering: Die Zündvorrichtungen sind so präpariert, dass Flammen erst nach Minuten hochschlagen. Und wer sich nachts in einer leeren Straße kurz zu einem Auto runterbeugt und einen kleinen Brandsatz auf dem Reifen platziert, der fällt nicht auf.
Die Polizei ist nahezu machtlos. Polizeipräsident Dieter Glietsch brachte es kürzlich im Abgeordnetenhaus so auf den Punkt: „Es gibt eine extrem hohe Zahl an Tatgelegenheiten“. Innensenator Ehrhart Körting präzisierte diese Zahl auf „1 226000“ – so viele Pkws sind in Berlin gemeldet. „Eine flächendeckende Überwachung ist nicht möglich“, sagte Körting. Die Täter gehen nach Polizeiangaben „äußerst konspirativ“vor, Tatorte würden „sorgfältig ausgespäht“, bis kein Zeuge mehr in der Nähe sei.
Es traf nicht nur „Bonzenschleudern", wie hochwertige Autos in der Szene heißen. Fahrzeuge ab einem Preis von 30 000 waren in 49 Fällen betroffen. Teilweise gingen jedoch bis zu 14 Jahre alte Mittelklassewagen in Flammen auf. In 23 Fällen traf es große Konzerne: Vor allem die Deutsche Bahn, die Telekom und Siemens, aber auch Vattenfall und die Allianz. Rekordmonat war der Mai mit 36 Taten – Anfang Juni begann dann der G-8-Gipfel. Vom 25. Mai bis 21. Juni beobachtete die Polizei vor allem in Kreuzberg und Friedrichshain nachts intensiv zahlreiche Straßen. Bei 439 Einsätzen waren damals 2801 Polizisten im Einsatz.
Dieser Aufwand wurde allerdings bald gestoppt. „Wir können uns keinen teuren Aktionismus leisten, der in der Praxis nichts bringt“, argumentierte Dieter Glietsch und lehnte die Forderung der CDU nach einer „Sonderkommission“ ab. Im Oktober setzte die Polizei 3000 Euro Belohnung aus. Während es im September und Oktober jeweils nur vier Taten gab, waren es im November bereits 10.
Zwölf Tatverdächtige wurden im Sommer erwischt, seitdem gab es keine Festnahmen mehr. Im Oktober wurde ein 26-Jähriger zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt, er hatte im Mai einen Opel Corsa angezündet. Zudem standen zwei Jugendliche vor Gericht, einer bekam zwei Wochen Freizeitarrest, der andere muss den Kurs „Leben ohne Suff“ besuchen. Bei den anderen laufen die Ermittlungen noch.
Nach Einschätzung des zuständigen Dezernatsleiters Lars Sünnemann beim Landeskriminalamt war jeder der Verdächtigen lediglich für wenige Taten verantwortlich. Eine festgefügte Terrorgruppe stecke nicht hinter der Serie, im Gegenteil. Die „militante Gruppe“ (mg) hat sich von den massenhaften Zündeleien distanziert. Die „mg“ hatte nur Fahrzeuge der Bahn, Polizei und Bundeswehr angezündet – und Bekennerschreiben verschickt.
Laut Innensenator „gibt es viele Nachahmungstäter“. Aus den Tatorten und Fahrzeugen schließen die Ermittler, dass 99 der 101 Taten von Linken verübt wurden. 62 Anschläge geschahen in Friedrichshain-Kreuzberg. Da seit dem Sommer auffallend viele Geländewagen brannten, könnten auch militante Klimaschützer am Abfackeln beteiligt sein, heißt es. Diese Autos gelten wegen des hohen Spritverbrauchs als Klimakiller Nummer 1.