Die neue Geheimdienstpolizei
Es war einer von vielen Skandalen im laufenden Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder einer linksextremen Organisation. Anfang vergangener Woche wurde bekannt, dass das Bundeskriminalamt (BKA) in seinen Ermittlungen gegen eine Organisation mit dem Namen "militante gruppe" (mg) systematisch auf Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, auch: Stasi) der DDR zurückgegriffen hat (Anti-Terror mit der Stasi). Besonders delikat: Bei einigen der verdächtigten Personen handelt es sich um Stasi-Opfer. Als Mitglieder unabhängiger linker Basisgruppen waren sie in der Endphase des Arbeiter- und Bauernstaates schon einmal Opfer des Geheimdienstes geworden.
Dass heute Ermittlungsbehörden mit den damals in der DDR angelegten Observationsakten erneut gegen sie vorgehen, wirft ein Schlaglicht auf die Mängel des Stasi-Unterlagengesetzes. Denn die Stasi-Archive sind knapp zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung offenbar eine ständige Ressource bei BKA-Ermittlungen.
Dieser Überzeugung ist zumindest Sven Lindemann. "In den Ermittlungen nach dem Strafrechtsparagraphen 129a ist ein solches Vorgehen gängig", sagte der Berliner Rechtsanwalt im Gespräch mit Telepolis. Der Jurist vertritt einen von sieben Männern, gegen die derzeit Verfahren wegen Mitgliedschaft in der "mg" laufen. Seit Anfang August ist Lindemanns Klient in der Berliner Justizvollzugsanstalt Moabit inhaftiert. "Erfahrungswerte" ließen vermuten, sagt der Jurist, dass das BKA mit den bis zu 800 Mitarbeitern der Archive der Stasiunterlagenbehörde BStU routinemäßig zusammenarbeitet, um Informationen abzufragen, sofern Alter und Herkunft der Zielpersonen Observationsdaten vermuten lassen. "In allen entsprechenden Fällen, die ich betreue, haben wir einen solchen Rückgriff festgestellt", sagt Lindemann. Immerhin ein halbes Dutzend Prozessakten.
Vorgehen "rechtsstaatlich fragwürdig"
Lindemanns Kollegin Christina Clemm, die zu dem Verteidigerteam der sieben mutmaßlichen "mg"-Mitglieder gehört, hält die Verwendung von Stasi-Akten zwar für "absolut unzulässig" und "politisch brisant". Erstaunt ist sie von dem Rückgriff auf die Archive aber nicht. Den bisherigen Erfahrungen nach benutzten die Ermittlungsbehörden "alles, was sie in die Hände bekommen". Sie sei nur erstaunt darüber, dass die Verteidiger in den vorliegenden Fällen davon erfahren haben. Dies sei schließlich nicht selbstverständlich.
Als das Stasi-Unterlagengesetz im Dezember 1991 verabschiedet wurde, war von einer so weitreichenden Nutzung keine Rede. In Paragraph 19 wurde damals der Zugriff auf die Datenbestände des DDR-Inlandsgeheimdienstes "durch öffentliche und nicht-öffentliche Stellen" geregelt. Ein weiterer Paragraph "23" regelte die "Verwendung von Unterlagen für Zwecke der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr". Begründet wurde dieser Gesetzesabschnitt aber mit notwendigen Ermittlungen gegen ehemalige Geheimdienstmitarbeiter der DDR sowie Personen, gegen die nach internationalen Strafrechtsnormen vorgegangen werden müsse. In jedem Fall sollte der Rückgriff auf DDR-Geheimdienstmaterial die Ausnahme bleiben.
Mit der zunehmenden Anwendung des Terrorvorwurfs droht die Verwendung von MfS-Akten nun aber ein Ausmaß anzunehmen, das bei Verabschiedung des Gesetzes niemand wollte, geschweige denn voraussehen konnte. "Die Verwendung dieser Erkenntnisse ist problematisch, weil sie mitunter durch nicht rechtsstaatliche Methoden zustande gekommen sind", sagt Hannes Honecker, der Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins mit Sitz in Berlin.
Das gleiche Problem stelle sich auch im Umgang mit CIA-Akten oder sonstigen Informationen, die unter illegalen Bedingungen wie etwa in Foltersituationen gewonnen wurden. Zudem, sagt Honecker, würde das Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten unterlaufen, das von den Siegermächten nach dem Zweiten Weltkrieg als Konsequenz aus dem Gestapo-Terror erlassen wurde. Dieser Trend aber sei auch unabhängig von dem Zugriff auf die Akten der Stasi-Unterlagenbehörde zu beobachten. In Berlin arbeiteten seit Herbst 2004 Polizisten und Geheimdienstler im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Seite an Seite.
Neue Qualität der Zusammenarbeit
Frank Walenta sieht rechtsstaatliche Grundsätze durch den Rückgriff auf Stasi-Akten dennoch nicht gefährdet. Ein entsprechendes Vorgehen sei "nicht unüblich", sagte der Sprecher der Bundesanwaltschaft im Gespräch mit Telepolis. Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst sei weiter gegeben, zumal nicht mehr existierende Dienste wie das MfS der DDR nie von diesem Gebot berührt gewesen seien.
Wo für den Vertreter der Bundesanwaltschaft also alles in geregelten Bahnen verläuft, sieht Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Präsident der Internationalen Liga für Menschenechte, eine "fatale sicherheitspolitische Wiedervereinigung" zwischen Polizei und Geheimdiensten. Dies drücke sich etwa in der Einrichtung der gemeinsamen Anti-Terror-Datei aus, die seit Ende 2006 vom GTAZ verwaltet wird und "die von allen bundesdeutschen Polizeien und allen 19 Geheimdiensten des Bundes und der Länder bestückt und genutzt" wird. Die Innenministerkonferenz habe eine "Verbesserung der Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten gerade im Hinblick auf den Austausch von Daten über Terroristen" empfohlen, erinnerte Gössner in seiner Laudatio zum Big-Brother-Award 2006. Über die Ermittlungen des BKA fließen in die Megadatei nun auch Erkenntnisse des DDR-Geheimdienstes ein.
Was aber, wenn die Beschuldigung der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu Unrecht erhoben wird? Im Fall der so genannten militanten gruppe könnte eben dies zutreffen, denn derzeit prüft der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe die Terrorklassifizierung noch. Wenn die Anklage nach Paragraph 129a am Ende verworfen wird, wäre der Zugriff auf die Stasi-Akten zwar nicht unbedingt illegal. Auf jeden Fall aber wäre er brisanter als bisher angenommen.