Das Leben der G-8-Gegner
Anwälte und Betroffene gehen davon aus, dass bei den Razzien nicht nur eine Wanze angebracht wurde. Sie rechnen mit weiteren Benachrichtigungen.
AUS BERLIN UND HAMBURG KAI VON APPEN UND ULRICH SCHULTE
Es klingt wie eine Geschichte aus dem Stasi-Film "Das Leben der Anderen": Staatsschützer haben in mindestens einem Fall die Razzien im Mai dieses Jahres bei G-8-Gegnern dafür genutzt, um heimlich Abhörwanzen anzubringen. Die Mikrofone wurden immer dann aktiviert, wenn der Betroffene in seiner Wohnung war, was die Beamten durch Telefon- oder Videoüberwachung feststellten. Später drangen wieder Abhörprofis in die Wohnung ein, um die Wanzen zu entfernen - ohne dass der Betroffene davon etwas merkte.
Diesen Vorgang bestätigten der taz mehrere Anwälte. "Definitiv wissen wir zurzeit von einer Person, die dem großen Lauschangriff ausgesetzt war", sagt die Hamburger Rechtsanwältin Britta Eder. "Es ist aber anzunehmen, dass noch weitere Personen davon betroffen sind." Ihr Mandant erfuhr durch einen Brief von der Bundesanwaltschaft von der Verwanzung seiner Wohnung. Darin wird ihm mitgeteilt, dass "im Zeitraum vom 9. 5. 2007 bis 8. 6. 2007 aktivierbare abhörgeeignete technische Mittel in dieser Wohnung installiert" und "das nicht öffentliche gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet" worden sei.
"Es war ein erheblicher Eingriff", sagte das Abhöropfer, das in der Krankenpflege arbeitet, der taz. "Mich hat es nicht überrascht. Doch für meine Freundin war es ein Schock, dass alle privaten Gesprächen mitgehört wurden." Zudem seien Telefonate mit Kunden in seiner Firma abgehört worden. "Damit wurden auch 50 Kollegen hineingezogen."
Für die Installation ihrer "technischen Mittel" nutzten die Beamten die Durchsuchungen in der linken Szene Anfang Mai. Rund 900 Polizisten drangen damals in rund 40 Wohnungen und Büros in Norddeutschland ein, beschlagnahmten Akten oder kopierten Festplatten. In Hamburg durchwühlten Beamte des Bundeskriminalamts zehn Wohnungen, ein Wohnprojekt und das autonome Stadtteilzentrum Rote Flora. Haftbefehle hatten die Ermittler nicht.
Alle G-8-Gegner, bei denen Fahnder nach belastendem Material suchten, fragen sich nun: Warum sollte die Bundesanwaltschaft bei einer so großen Durchsuchung nur in einem Fall Wanzen angebracht haben?
"Es würde mich wundern, wenn nicht mehr Fälle bekannt werden", sagt der Berliner Anwalt Christoph Kliesing. Er vertritt ebenfalls einen Aktivisten, bei dem durchsucht wurde. In den nächsten Monaten könnten "noch diverse Schreiben mit solchen Aktionen" bei G-8-Kritikern eintrudeln, befürchtet Kliesing. Die Behörde ist jedenfalls verpflichtet, nach Ende einer Abhöraktion den Betroffenen darüber zu informieren. Wenn Untersuchungs- und Ermittlungszweck nicht mehr gefährdet seien, "gibt es eine Benachrichtigungspflicht", sagt Frank Wallenta, der Sprecher der Generalbundesanwaltschaft. Wartet die Behörde mit der Benachrichtigung länger als sechs Monate, brauche sie die Einwilligung eines Richters. Die Razzien liegen fast genau ein halbes Jahr zurück.
Viele in der Szene glauben nicht, dass es sich um einen Einzelfall handelt: "Wir gehen fest davon aus, dass die Rote Flora weiterhin abgehört wird", sagt Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt in Hamburg. "Sie hatten bei der Razzia genügend Zeit, diese Wanzen irgendwo unbeobachtet und gut versteckt anzubringen." Nach taz-Informationen hatten Fahnder schon vor den G-8-Durchsuchungen eine Verwanzung geplant, davon aber Abstand genommen. Aufgrund der "Sensibilität des dort verkehrenden Publikums" sei die "Installation der erforderlichen Überwachungs- und Aufzeichnungstechnik nicht möglich" gewesen, heißt es in einem Aktenvermerk. Er findet sich in den Ermittlungsakten, die den Verteidigern zur Einsicht überlassen wurden.
In Berlin durchsuchten die Fahnder seinerzeit das linke Kulturzentrum Mehringhof, einen darin ansässigen Buchladen und das Umbruch-Bildarchiv. Von Verwanzung weiß man hier nichts - hält sie aber auch nicht für ausgeschlossen. "Über Wanzen will ich nicht spekulieren. Aber wir gehen sowieso davon aus, dass uns die Polizei im Blick hat", sagt ein Mitarbeiter des Buchladen Schwarze Risse. Kunden des Buchladens seien von Polizisten angesprochen worden, die Fahnder hätten damals E-Mail-Listen und die Kundenkartei kopiert.
Bei ihrem Hamburger Lauschangriff kann sich die Bundesanwaltschaft auf die Strafprozessordnung berufen. Das "in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort" darf dann abgehört werden, wenn etwa der Verdacht auf eine besonders schwere Straftat besteht. Als solche gilt die Bildung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129a. Mit dem berühmt-berüchtigten Terrorparagrafen hatte die Bundesanwaltschaft auch die Massendurchsuchungen begründet.
Ob dies rechtens war, ist noch ungeklärt. Anwälte haben gegen Durchsuchungsbeschlüsse Beschwerde eingelegt. Sie sind der Ansicht, dass Brandstiftungen an Autos oder Farbsprühereien nicht dazu geeignet seien, die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik zu erschüttern. Daher seien Ermittlungen nicht auf Grundlage des Paragrafen 129a durchzuführen.