»Wer dazu schweigt, ist der Nächste«
Wer sich schon im Osten als Querulant geoutet hat, wird dieses Image anscheinend auch im Westen nicht los. Bei den Ermittlungen zur militanten gruppe (mg) soll die Birthler-Behörde dem Bundeskriminalamt (BKA) Amtshilfe geleistet haben.
Auslöser für die bereits gestern bekannt gewordene BKA-Anfrage bei der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) könnte ein Artikel im letzten »telegraph« gewesen sein. In dem Nachfolgeblättchen der »Umweltblätter«, einem DDR-Samisdat, nimmt Autor Thomas Klein auseinander, wie linke Gruppen in Ost und West bei den Protesten zur Tagung von IWF und Weltbank 1988 zusammengearbeitet haben. Für das BKA könnte das ein gefundenes Fressen gewesen sein. Schließlich ermittelt es seit 2005 gegen zwei Aktivisten der Westberliner Autonomen-Szene, die damals den Kontakt in die DDR hielten, wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Beide gehören zu den Autoren des Buches »Autonome in Bewegung«, das im Visier der Ermittler ist, und waren von Hausdurchsuchungen im Vorfeld der G8-Mobilisierung im Mai dieses Jahres betroffen.
Dem BKA geht es vor allem um tatsächliche oder vermeintliche Strukturen. Gegen drei Autoren des »telegraph« und einen dem Blatt nahe Stehendem wird seit einem Jahr ermittelt. Einer von ihnen gehört zu der DDR-Bürgerrechtsgruppe Gegenstimmen, die vor fast 20 Jahren die DDR-weite Aktionswoche gegen IWF und Weltbank maßgeblich organisiert hat. Die anderen drei, unter ihnen der Stadtsoziologe Andrej H., der laut BKA der intellektuelle Kopf der mg sein soll, engagieren sich stark gegen die »Gentrification« genannte Aufwertung von Stadtbezirken – anscheinend die zweite Ermittlungsrichtung des BKA.
Zweifelsfrei zu beweisen ist der Verdacht, den der »telegraph« Montagabend in einer Erklärung verbreitet hat, nur schwer. Entsprechende Hinweise können lediglich aus den Ermittlungsakten hervorgehen, die neben den Ermittlern nur Anwälten und den Betroffenen zugänglich sind. Bereits gestern hat einer der Beschuldigten gegenüber dem ND die »tele〜graph«-Vorwürfe bestätigt. Die Birthler-Behörde allerdings darf nicht darüber plaudern, an wen sie Infos herausgegeben hat, erläutert BStU-Sprecher Andreas Schulze. Und versichert, dass die BStU zur Akten-Herausgabe verpflichtet sei, wenn das Stasiunterlagengesetz erfüllt sei: zur Abwehr »einer drohenden erheblichen Gefahr«. Eine Wertung, ob die tatsächlich vorliege, obliege der Behörde nicht. Im Internet wird inzwischen aus dem Briefwechsel zwischen BKA und BStU zitiert, der vom September dieses Jahres stammen soll. Vier Tage nach der Anfrage habe die Behörde die Akten zur Verfügung gestellt, heißt es dort.
Bei den 129a-Ermittlungen gehe es vor allem darum, Zusammenhänge und persönliche Kontakte aufzudecken, kritisieren auch Anwälte und Unterstützer. Deshalb raten sie den etwa 20 als Zeugen geladenen Personen, die Aussagen zu verweigern – obwohl dafür neben einem Bußgeld auch Gefängnis droht. Doch jeder, der dem BKA namentlich bekannt wird, könnte ein weiterer potenzieller Verdächtiger sein. Ab Freitag wird die Entscheidung des Bundesgerichtshofes erwartet, ob gegen die drei derzeit Inhaftierten tatsächlich nach dem Terrorparagrafen ermittelt werden darf.
Gelernte DDR-Bürger verwundert der Zugriff des BKA auf Stasi-Akten wenig. »Dass immer dieselben Leute ins Visier geraten, ist ganz natürlich«, meint DDR-Bürgerrechtler Thomas Klein. Um so wichtiger sei es, sich gegen die Schnüffelei zur Wehr zu setzen. »Jeder, der dazu schweigt, ist der nächste.«