Empörung über abgehörte Journalisten-Gespräche

Journalistenverbände sprechen von einem Skandal, SPD und Grüne wollen das Thema im Bundestag diskutieren: Die Bundesanwaltschaft ließ es zu, dass Protokolle von abgehörten Telefonaten eines Terrorverdächtigen mit Journalisten ohne Anonymisierung an Anwälte gingen. Von Yassin Musharbash und Jörg Diehl

Berlin - Das Vorgehen der Bundesanwaltschaft beim Belauschen von Terrorverdächtigen könnte ein parlamentarisches Nachspiel haben. Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hat heute eine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung eingereicht, die unter anderem klären soll, wie die Bundesanwaltschaft nach Meinung der Bundesregierung mit den Protokollen von abgehörten Telefonaten umgehen soll, die ein Verdächtiger, gegen den die Behörde ermittelt, mit Journalisten geführt hat.

Anlass für die Anfrage sind pikante Details, die in den vergangenen Tagen häppchenweise bekannt geworden sind. Es geht - neben anderen Fällen - um einen Informanten aus der linken Szene, gegen den der Generalbundesanwalt (GBA) wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Gespräche, die der junge Mann mit verschiedenen Journalisten führte, wurden nicht nur abgehört und protokolliert - die Niederschriften gingen auch ohne Anonymisierung der betroffenen Journalisten zu den Akten. Die Verlagshäuser und der betroffene Sender wurden über dieses Vorgehen nicht informiert. Vertrauliches landete in fremden Händen - für investigative Rechercheure ein Desaster.

Auch SPIEGEL-ONLINE-Redakteur Phillip Wittrock war davon betroffen (mehr...). Mindestens am 8. März, am 22. März und am 2. April dieses Jahres zeichnete das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein auf Weisung des GBA Gespräche des Rechtsradikalismus-Experten mit seinem Informanten auf. Auch in diesen Fällen gingen Protokolle und Zusammenfassungen ohne jede Anonymisierung an die Anwälte. Dabei ging es in den Gesprächen nicht einmal am Rande um das Verfahren gegen den Beschuldigten.

"Die anordnende Generalbundesanwältin sowie das Bundeskriminalamt und Landeskriminalamt Kiel haben offenbar alle Regelungen zum Schutz der Presse- und Rundfunkfreiheit, von Informanten sowie des Vertrauensverhältnisses zwischen Beschuldigten und Verteidiger missachtet, um unbedingt (sogar mithilfe beigezogener Stasi-Unterlagen) Ermittlungserfolge gegen die Verdächtigen zu produzieren", sagte Grünen-Politiker Ströbele SPIEGEL ONLINE.

"Nur die Spitze des Eisberges"

Auch die Journalistenverbände reagieren empört auf den Fall. "Das ist ein unglaublicher Vorfall, der sich nahtlos in das einreiht, was wir in den vergangenen Monaten sonst noch erfahren haben", sagte Michael Konken, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Die Protokolle der Gespräche hätten sofort vernichtet werden müssen." Er forderte die Behörden auf, dies unverzüglich nachzuholen. "Es kommt aber leider immer nur die Spitze des Eisberges zum Vorschein", so Konken weiter. "Im Hintergrund läuft, glaube ich, viel mehr als wir alle ahnen."

Auch Ulrike Maercks-Franzen, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU), reagierte entsetzt: "Das Beispiel macht einmal mehr deutlich, dass alles, was eigentlich unter das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO Abs. 5 für Journalisten und Redaktionen fällt, bei der Überwachung der Telekommunikation nicht mehr gelten soll. Es kann von den Betroffenen auch gar nicht geltend gemacht werden - denn sie erfahren gar nichts, zu spät oder nur unzureichend über den Bruch des Redaktionsgeheimnisses."

Es bedürfe einer endgültigen Klärung, ob und wann Journalisten und Redaktionen über derartige Überwachungsmaßnahmen informiert werden müssen. Und ob es zulässig sei, bei solchen Überwachungsmaßnahmen erhobenes Material zu verwenden und weiterzugeben, wenn aus der Prüfung ersichtlich werde - wie in diesem Fall -, dass Partner und Gegenstand der Gespräche mit dem Anlass für die Überwachungsmaßnahme überhaupt nichts zu tun haben.

Wiefelspütz verspricht Diskussion im Parlament

Der Berliner Rechtsanwalt Johannes Weberling, Experte für Medienrecht, sagte SPIEGEL ONLINE: "Es ist unrechtmäßig, dass die Behörden Gespräche mitschneiden und protokollieren, die nachweislich mit den Ermittlungen nichts zu tun haben. Die Unterhaltungen der überwachten Person mit Pressevertretern hätten umgehend gelöscht werden müssen. Es ist ein Skandal, dass nicht nur dies nicht geschah, sondern darüber hinaus die Gespräche abgeschrieben und zu den Akten gegeben wurden. Damit hat man den Informantenschutz der Journalisten ganz entscheidend geschädigt. Und ich habe fast den Eindruck, die Behörden haben ganz bewusst so gehandelt."

Hintergrund der Überwachungsmaßnahmen, in die SPIEGEL-ONLINE-Redakteur Wittrock geriet, war ein Ermittlungsverfahren der Karlsruher Behörde - unter anderem gegen den überwachten Informanten - nach Paragraf 129a des Strafgesetzbuchs wegen des Verdachts der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" (Aktenzeichen: 2 BJs 44/06). Die Bundesanwaltschaft prüft, ob der Mann und acht weitere Personen zwischen 2002 und 2006 drei Brandanschläge auf Rüstungsfirmen und einen Bundeswehrbus in Schleswig-Holstein verübt haben.

Außer dem Grünen Ströbele glaubt auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, dass der Umgang mit aufgezeichneten Journalistengesprächen im Bundestag diskutiert werden sollte. Er kündigte an, das Thema im Parlament zur Sprache zu bringen: "Ich werde in geeigneter Weise dafür sorgen, dass wir das würdigen und sehen, ob übers Ziel hinausgeschossen wurde."

Zwar sei es praktisch unmöglich zu verhindern, dass auch Telefonate von Beschuldigten mit Journalisten abgehört werden. "Wir werden aber schauen müssen, wie in angemessener Weise der Informantenschutz gewährleistet wird", so der Innenpolitiker. Er zeigte Verständnis für die Verärgerung der Berufsverbände: "Es ist völlig legitim, dass Journalisten fordern, dass hier genau hingeschaut wird."

"Sonderstellung der Presse"

Es gehe hier um Fragen der Verhältnismäßigkeit, sagte der Sozialdemokrat weiter - freilich ohne sich eindeutig festzulegen. Wie jeder andere seien auch Journalisten an Recht und Gesetz gebunden, sagte Wiefelspütz. Es gebe aber "eine Sonderstellung der Presse in Gestalt des Informantenschutzes". Der sei zwar "nicht grenzenlos", dürfe aber auch nicht "ausgehebelt" werden.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach, wollte den Vorgang dagegen lieber nicht kommentieren. "Ich kann nicht zu Ermittlungshandlungen der Polizei und zu laufenden strafrechtlichen Verfahren Stellung nehmen", sagte er SPIEGEL ONLINE.

Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE erklärte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe heute, dass Telefonate mit Journalisten aufgezeichnet und protokolliert werden dürfen. "Grundsätzlich gilt, dass eine gesetzliche Verpflichtung zum Abbruch von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen für den Fall, dass ein Gespräch zwischen einem Beschuldigten und einem Journalisten anfällt, nach geltender Rechtslage nicht besteht", antwortete die Behörde per Fax. Eine Reihe Nachfragen, die SPIEGEL ONLINE nach Karlsruhe schickte, wurden bis zum späten Mittwochnachmittag zunächst nicht beantwortet.

Bundestagspräsident Norbert Lammert lehnte es heute unterdessen ab, Ströbeles Anfrage als dringlich einzustufen - nur dann hätte sie auch heute schon während der Fragestunde des Parlaments behandelt werden können. Der Grünen-Abgeordnete hofft nun auf eine schriftliche Antwort am 27. November. "Ich erwarte vollständige Aufklärung dieser Vorgänge durch die Bundesregierung und die Generalbundesanwältin", sagte er.