Terrorermittlungen. Lauschangriff auf Journalisten
Spähen, spitzeln, spionieren: Die Bundesanwaltschaft hat Gespräche von Journalisten mit einem Informanten aus der linken Szene abhören lassen und die Inhalte der vertraulichen Unterredungen verbreitet. Auch ein SPIEGEL-ONLINE-Redakteur wurde belauscht.
Von Jörg Diehl und Yassin Musharbash
Hamburg - Am 8. März um exakt 15.06 Uhr schaltete sich erstmalig die Staatsmacht zu. Ein Informant aus der linken Szene, nennen wir ihn Michael*, hatte SPIEGEL-ONLINE-Redakteur Philipp Wittrock von seinem Handy aus im Büro angerufen. Michael* wollte Informationen über Aktivitäten der Neonazis in Norddeutschland weitergeben. Ein ganz normales Hintergrundgespräch - so schien es. Doch keiner der beiden ahnte, dass Ermittler des schleswig-holsteinischen Landeskriminalamts (LKA) die Unterhaltung aufzeichneten.
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Symbolbild eines Telefonats: "Wittrock wollte mal horchen"
Das drei Tage später angefertigte Protokoll der Beamtin R. K., das SPIEGEL ONLINE nun einsehen konnte, offenbart, dass die Fahnder sich um die verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit ebenso wenig scherten wie um die Rechtschreibung: "MP ("Männliche Person", gemeint ist Wittrock; d. Red.) meint, dass das ganze etwas mitseriös (gemeint ist mysteriös; d. Red.) klingt und lässt sich beschreiben, was Michael* und Jonas* im Bereich Antifa tun." Michael* gibt sich daraufhin als "ehrenamtlicher Aktivist" zu erkennen, der die rechte Szene beobachtet.
Klar musste der Polizistin zu diesem Zeitpunkt längst sein, dass ihre Zielperson Michael*, dessen Handy im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens überwacht wurde, sich mit einem Journalisten unterhielt. Schließlich hatte sie in der Rubrik "Sprecher (PA)" notiert: "MP SPIEGEL männlich." Im Verlauf des insgesamt elf Minuten und acht Sekunden langen Gespräches erwähnte Michael* noch, dass er einen Peilsender unter seinem Auto gefunden hatte. Reporter Wittrock wurde hellhörig. "MP meint, dass alles mitseriös klingt und er zunächst erstmal die Anwältin und die entsprechenden Stellen abtelefonieren möchte. Auf jeden Fall findet er die Sache 'hochinteressant'."
Das Gespräch von Anfang März ist eines von mindestens dreien zwischen Michael* und SPIEGEL-ONLINE-Redakteur Wittrock, das die LKA-Spezialisten des Sachgebiets 321, Abteilung Staatsschutz, mitgeschnitten und protokolliert haben. Und Wittrock ist nicht der einzige belauschte Journalist. Abgehört wurden darüber hinaus auch die Gespräche Michaels* mit vier weiteren Kollegen vom "Tagesspiegel", dem Norddeutschen Rundfunk und der "tageszeitung" - sowie Unterredungen des Studenten mit drei Rechtsanwälten.
Vertrauliches in fremde Hände
Ganz offenbar störten sich die Fahnder nicht daran, dass für Pressevertreter der Artikel fünf des Grundgesetzes gilt, der ihre Gespräche mit Informanten unter einen besonderen Schutz stellt. Die Ermittlungsbehörden gaben die Abschriften der Telefonate - mit den vollständigen Namen der Reporter - an die Anwälte der Beschuldigten weiter. Die Verlagshäuser und der betroffene Sender wurden über dieses Vorgehen indes nicht informiert. Vertrauliches landete in fremden Händen - für investigative Rechercheure ein Desaster.
Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE erklärte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe heute, dass auch Telefonate mit Journalisten aufgezeichnet und protokolliert werden dürfen. "Grundsätzlich gilt, dass eine gesetzliche Verpflichtung zum Abbruch von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen für den Fall, dass ein Gespräch zwischen einem Beschuldigten und einem Journalisten anfällt, nach geltender Rechtslage nicht besteht", antwortete die Behörde per Fax. "Ein solcher Abbruch wäre auch aus rein tatsächlichen Gründen nicht möglich, denn die überwachten Gespräche werden regelmäßig automatisch aufgezeichnet."
Zudem, hieß es aus Karlsruhe, sei die "Dokumentation der Gesprächsinhalte" erforderlich, "um die Beurteilung der jeweiligen Verfahrensrelevanz (...) zu ermöglichen." Ob solche Protokolle "zu Beweiszwecken herangezogen" werden, müsse im Einzelfall und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und "der besonderen Rechtsstellung von Pressemitarbeitern" entschieden werden.
Derzeit könne nicht festgestellt werden, in wie vielen Fällen Journalisten an überwachten Gesprächen beteiligt gewesen seien, hieß es weiter. Zu dem konkreten Fall der Protokollierung von Wittrocks Telefonaten wollte sich ein Sprecher der Behörde zunächst nicht äußern.
Der Hintergrund
Hintergrund der Überwachungsmaßnahmen, in die SPIEGEL-ONLINE-Redakteur Wittrock geriet, war ein Ermittlungsverfahren der Karlsruher Behörde - unter anderem gegen Michael* - nach Paragraf 129a des Strafgesetzbuchs wegen des Verdachts der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" (Aktenzeichen: 2 BJs 44/06). Die Bundesanwaltschaft prüft, ob Michael* und acht weitere Personen zwischen 2002 und 2006 drei Brandschläge auf Rüstungsfirmen und einen Bundeswehrbus in Schleswig-Holstein verübt haben.
Der wegen seiner Dehnbarkeit häufig kritisierte Paragraf 129a sieht vor, dass sich die von ihm beschriebenen "terroristischen Vereinigungen" zum Zwecke des Mordes, Totschlags, Völkermordes, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder der Kriegsverbrechen gebildet haben. Ihre Straftaten müssten zudem geeignet sein, "die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen".
Zum einen kann man sehr wohl darüber diskutieren, ob drei Brandschläge in vier Jahren die Grundstrukturen der Bundesrepublik tatsächlich beseitigen können, zum anderen steht fest: In den Gesprächen von Wittrock und Michael* ging es nicht um den Inhalt des Ermittlungsverfahren, also um die Brandanschläge norddeutscher Linksextremer. Es handelte sich weitestgehend um Recherchegespräche zum Thema Neonazismus. Außerdem unterhielten sich die beiden über die unter Michaels* Auto gefundene GPS-Vorrichtung. Weshalb also spitzelten die Polizisten?
Politisches Nachspiel
Der Lauschangriff auf Journalisten und Anwälte wird nun ein politisches Nachspiel nehmen. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele kündete an, heute im Parlament "dringliche Fragen" stellen zu wollen. Er möchte von der Bundesregierung wissen, ob sie die Meinung der Pressevertreter teilt, abgefangene Briefe an und mitgeschnittene Telefonaten von Journalisten seien "Angriffe auf die Rundfunk- und Pressefreiheit" und unterliefen den Informantenschutz.
Zur Abteilung Attacke gehörte demnach der Beamte C. O., der am 23. März das vertrauliche Gespräch zwischen Michael* und Redakteur Wittrock vom Vortag verschriftlichte. Im Protokoll heißt es: "Herr Wittstock" - auch hier arbeiteten die Polizisten nur wenig akkurat - "kann sich noch an Michael* erinnern, wegen des Peilsenders." Und siebeneinhalb Minuten später verspricht der SPIEGEL-ONLINE-Redakteur laut LKA-Protokoll: "Wittstock will an der Sache dranbleiben."
Zum bislang letzten Mal hörten die Ermittler Wittrock und Michael* am Mittag des 18. April zu. Um 13.37 Uhr meldete sich der Redakteur, sein Anschluss wurde in dem Protokoll nunmehr bereits dem "Spiegel-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG" zugeschrieben, auf dem Handy seines Informanten.
"Wittrock wollte mal horchen und führt aus, dass er heute mit der Anwältin von Michael* geredet hat." Über mehrere Din-A-4-Seiten zieht sich das Protokoll der Unterredung, die sich im Wesentlichen um den Peilsender am Auto des Informanten dreht. Dann reißt die Niederschrift ab. Nur einen Satz setzt der Beamte M.-O. W. noch erklärend hinunter: "Weiteres Gespräch nicht relevant."
Eine späte Einsicht.
* Name geändert