Ein Zeuge namens Stasi

Im Verfahren gegen die "militante gruppe" bediente sich das BKA beim DDR-Geheimdienst. VON JÖRG SCHINDLER

Im Ermittlungsverfahren gegen die "militante gruppe" (mg) haben die Behörden offenbar auch Stasi-Akten angefordert, um belastendes Material gegen vier beschuldigte Wissenschaftler und Publizisten zu finden. Nach Informationen der Frankfurter Rundschau flossen die vom Bundeskriminalamt (BKA) angeforderten Akten in mindestens einem Fall in das Ermittlungsverfahren ein. Die Anwälte der Beschuldigten sprachen von einem "Unding" - dahinter stecke gleichwohl System.

Das Verfahren gegen den Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm und drei seiner Kollegen war im September 2006 eröffnet worden. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen die vier aus der DDR stammenden Männer wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Sie wurden seit Herbst 2006 rund um die Uhr beschattet.

Im November 2006 forderte das BKA zudem bei der Stasiunterlagen-Behörde Akten über die Beschuldigten an - die auch prompt geliefert wurden: Keine Woche später sandte die Birthler-Behörde eine schriftliche Übersicht aus der sogenannten Findhilfsmittel-Datei. Darunter Angaben zu Verhaftungen während des Wende-Herbstes 1989 und darüber, welche Briefe und Zeitungen zu DDR-Zeiten bei den Männern beschlagnahmt worden waren.

"Terrorgruppe" Greenpeace

Auf besonderes Interesse des BKA stieß dabei ein von der Stasi bespitzeltes Treffen in der Ostberliner Umweltbibliothek im Jahr 1988. Damals stand im Westteil der Stadt der Gipfel des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank bevor. Ein Ereignis, das in der DDR-Bürgerbewegung auf erheblichen Unmut stieß. In der Umweltbibliothek trafen sich deshalb Ostaktivisten unter anderem mit Vertretern von Greenpeace und den Grünen - in der Diktion der Staatssicherheit also "terroristische Kreise".

Stasi-Informationen über dieses Treffen finden sich nun in den Ermittlungsakten gegen die angeblichen mg-Mitglieder wieder. Einer der Beschuldigten bezeichnete das am Dienstag im Gespräch mit der FR als Skandal: Dass die Ermittler in einem politischen Verfahren frei auf Geheimdienstmaterial zugreifen konnten, verstoße eindeutig gegen das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten. Das BKA habe unseriöse Stasi-Informationen benutzt, um 18 Jahre später "weitreichende Schlüsse" daraus zu ziehen. Die Verteidigung sprach von "Gesinnungsschnüffelei".

Das Verfahren bröckelt

Sonderlich stichhaltig scheinen diese Informationen nicht gewesen zu sein. Drei der vier Beschuldigten wurden trotz strenger Überwachung bis heute nicht verhaftet. Der vierte, Andrej Holm, ist seit kurzem wieder frei: Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte, es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass er Mitglied einer terroristischen Vereinigung sei. Auch eine Sprachanalyse von mg-Bekennerschreiben und Texten der verdächtigten Wissenschaftler bescherte den Ermittlern offenbar keinen Erfolg.

In Untersuchungshaft sitzen nun noch drei weitere Männer, die im Juli geschnappt wurden, als sie versuchten, in Brandenburg Lastwagen der Bundeswehr anzuzünden. Da einer von ihnen "konspirative" Kontakte zu Holm gehabt haben soll, stehen auch sie unter Terrorverdacht. Darüber will der BGH am Freitag entscheiden.

Verteidiger Sven Lindemann sieht in dem gesamten Verfahren eine Farce. Dass das BKA dabei auch auf Stasi-Unterlagen zurückgegriffen habe, sei allerdings "keine Besonderheit". In ähnlichen Fällen würden "regelmäßig" Akten des DDR-Geheimdienstes angefordert, sagte Lindemann der FR: "Die benutzen alles, was sie in die Finger kriegen können."

Eine Stellungnahme des BKA oder der Bundesanwaltschaft war am Dienstag nicht zu erhalten.