Brief-Affäre: "Schlag gegen Pressefreiheit"
Die Kontrolle von Briefen an vier Berliner Tageszeitungen durch die Bundesanwaltschaft ist bundesweit auf scharfe Kritik gestoßen. Politiker, Rechtsanwälte sowie Presse- und Journalistenverbände sprachen einhellig von einem Angriff auf die Pressefreiheit. Auch in Berliner Polizeikreisen sorgte die Aktion für Unverständnis.
Wie die Morgenpost gestern berichtete, waren im Mai auf Beschluss des Bundesgerichtshofs Briefe an die Berliner Morgenpost, die "Berliner Zeitung", die "BZ" und den "Tagesspiegel" überprüft und zum Teil beschlagnahmt worden. Grundlage für den Beschluss sollen Ermittlungen gegen die "Militante Gruppe" (mg) sein, der zahlreiche Brandanschläge auf Behörden und Autos in Berlin und Brandenburg zur Last gelegt werden. Konkret soll nach Bekennerschreiben der als terroristisch eingestuften Vereinigung gesucht worden sein.
Das Redaktionsgeheimnis müsse "auf jeden Fall" Vorrang vor staatlichen Ermittlungen haben, sagte der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Michael Konken. Der Vorsitzende des Vereins Netzwerk Recherche, Thomas Leif, sagte gegenüber der Morgenpost, dass es sich bei der Durchsuchungsaktion um einen massiven Verstoß gegen das Postgeheimnis und die redaktionelle Autonomie der Zeitungen handele. "Noch schlimmer, es ist ein Angriff auf den Informantenschutz, auf das Herzkreislaufsystem für einen funktionierenden Journalismus", sagte Leif. Die Sicherheitsbehörden hätten damit "eindeutig ihre Kompetenzen bei ihrer Ermittlungsarbeit überschritten".
Der ehemalige Bundesinnenminister und Rechtsanwalt Gerhart Baum (FDP) sprach gegenüber der Morgenpost von einem Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis und gegen die Pressefreiheit. "In den Informantenschutz der Presse darf durch politische Maßnahmen nicht ansatzweise eingedrungen werden", sagte Baum. "In der freiheitlichen Gesellschaft sollte der Staat auf die bewährte Selbstverwaltung der Presse setzen und auch nur den Anschein vermeiden, in die Pressefreiheit einzugreifen."
Informanten werden abgeschreckt
Der renommierte Hamburger Anwalt für Strafrecht, Rainer Frank, kritisierte, dass der richterliche Beschluss dem Handeln der Polizei vor Ort in dem Briefzentrum nicht die erforderlichen engen Grenzen gesetzt habe. "Die Wirkung ist verheerend. Damit werden potenzielle Informanten von Zeitungen abgeschreckt", sagt Frank. "Die Presse wird damit in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeit behindert." Informanten müssten damit rechnen, dass ihre Post auf dem Weg in die Redaktionen geöffnet werde. Der Strafrechtler: "Eine Beschwerde gegen diese Entscheidung des Bundesgerichtshof hat Aussicht auf Erfolg."
Unmut bei der Polizei
Auch in Berliner Polizeikreisen stellt man sich Fragen zu der vom Bundesgerichtshof abgesegneten Aktion. Die Medien hätten in der Vergangenheit bewiesen, stets bei ihnen eingegangene Selbstbezichtigungsschreiben umgehend an die Behörden weiterzuleiten, so ein Beamter, der aus Angst vor Repressalien anonym bleiben will. Im Laufe der Jahre sei es in der Presselandschaft zur Praxis geworden, dass diese Dokumente gar sofort in Schutzhüllen gepackt wurden, um eventuelle Spuren nicht zu zerstören.
"Die Bundesbehörden hätten also schlicht darauf warten können, von den Medien angerufen zu werden und das angeblich gesuchte Schreiben von einem Kurier abholen zu lassen", so ein weiterer Ermittler. Durch die jetzt bekannt gewordene Polizeiaktion sei die Debatte zum Thema Datenschutz erneut entfacht worden, sonst im Hinblick auf die politische Ausrichtung unterschiedliche Medien würden zusammenrücken und gemeinsam intervenieren. "Eine solche Front hätten die Bundesbehörden sich nicht antun müssen", so der Beamte weiter.
Die Notwendigkeit zum Durchsuchen der Post sei nicht gegeben gewesen, jedenfalls nicht aus dem Grund, ein Bekennerschreiben zu bekommen, das ohnehin bei der Polizei gelandet wäre. "Leider kann man sich nicht den Eindrucks erwehren, dass hier vielleicht doch andere Gründe eine Rolle spielen könnten."
Es sei kein Geheimnis, dass Verantwortliche zunehmend über gut informierte Journalisten verärgert sind und nach undichten Stellen in ihren Behörden suchen.
BKA speicherte IP-Adressen
Ebenfalls im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die "Militante Gruppe" hatte das Bundeskriminalamt (BKA) vom 28. März bis 18. April dieses Jahres jeden registriert, der eine eigens vom BKA erstellte Internetseite mit Informationen über die mg besuchte. Ausgewertet wurden 417 sogenannte IP-Adressen. Jeder Computer besitzt eine IP-Adresse, die erfasst wird, sobald er eine Internetseite besucht.
So konnte das BKA auch einsehen, welche Verlage, Universitäten und Firmen sich für die mg interessierten. Wo dies nicht möglich war, habe das BKA bei der Telekom um Hilfe gebeten. "Nicht nur Journalisten, die sich beruflich informieren müssen, sondern auch unbescholtene Bürger, die sich für die Fahndungsaufrufe interessieren, gelangten so selbst ins Fadenkreuz", sagte dazu der stellvertretende Landesbezirksleiter der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Andreas Köhn. "Eigentlich sollte die Polizei dankbar sein, wenn sich die Öffentlichkeit für ihre Fahndungsaufrufe interessiert." Durch die gestern im Bundestag beschlossene Vorratsdatenspeicherung werde diese Form der Ermittlung noch gefährlicher für die Allgemeinheit, so Köhn.
Auch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) haben vor dem Hintergrund der Bundestagsentscheidung zur Kommunikationsüberwachung und Vorratsdatenspeicherung die Beschlagnahmeaktion als "Schlag gegen die Pressefreiheit" kritisiert. Mit dem jetzt verabschiedeten Gesetz werde das Berufsgeheimnis aufgebrochen,"Dieses Gesetz kann vor der Verfassung keinen Bestand haben", teilten der BDZV und VDZ in einer Erklärung mit. Entsprechende Verfassungsbeschwerden seien bereits angekündigt.
von Karsten Kammholz und Michael Behrendt