BKA ließ Berliner Briefzentrum überwachen
Auf der Suche nach Bekennerschreiben der als terroristisch eingestuften linksextremen "militanten gruppe" (mg) haben deutsche Sicherheitsbehörden im Mai dieses Jahres in einem Tempelhofer Briefzentrum der Post AG den Schriftverkehr an die Berliner Morgenpost, die BZ, den Tagesspiegel und die Berliner Zeitung überwacht und überprüft. Auf Anfrage bestätigte eine Sprecherin des Generalbundesanwalts die Maßnahme. Ziel der Aktion sei es lediglich gewesen, Briefe zu überprüfen, deren äußeres Erscheinungsbild aufgrund der bisherigen Erkenntnisse darauf schließen ließ, dass es sich bei den Absendern um Mitglieder der mg handelt. Laut einem Vermerk des Bundeskriminalamtes vom 22. Mai war es erlaubt, all die an die genannten Medien gesandten Briefe zu durchsuchen und zu beschlagnahmen. Zwei Schreiben an die Berliner Morgenpost und die BZ wurden beschlagnahmt und kopiert.
Anwälte des Axel Springer Verlags schließen nicht aus, wegen der Aktion juristische Schritte einzuleiten. Sie sehen die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt zwischen der Notwendigkeit der Strafverfolgung und des Eingriffs in das Grundgesetz. Den Sicherheitsbehörden ging es unter anderem um die Aufklärung eines Brandanschlages auf zwei Polizeifahrzeuge an der Spandauer Schmidt-Knobelsdorf-Straße in der Nacht zum 18. Mai.
Ausgelöst wurde die Debatte gestern durch eine Pressemitteilung der Gewerkschaft Verdi. Diese hatte über die Polizeiaktion berichtet und die Meldung auf ihre Internet-Seite gestellt. "Dieses Vorgehen der Ermittlungsbehörden hebelt den Informantenschutz komplett aus", kritisierte Andreas Köhn, stellvertretender Verdi-Landesbezirksleiter. "Wenn die Redaktionen nicht einmal darüber informiert werden, wie sollen Informanten sich dann noch sicher sein, wenn sie mit einer Redaktion in Kontakt treten. Sie müssen jederzeit davon ausgehen, dass Post abgefangen wird." Die Aktion erinnere ihn an Methoden, die zu anderer Zeit in diesem Land schon einmal üblich gewesen seien.
Laut Professor Dr. Hegemann, Rechtsbeistand des Springer-Verlags, ist diese Polizeiaktion medienpolitisch sehr problematisch und birgt die Gefahr, Pressefreiheit und Informantenschutz so sehr auszuhöhlen, dass diese nur noch zur Dekoration dienen könnten. Zwar seien ein solcher Beschluss durch die Strafprozessordnung abgedeckt und die betreffenden Medien erst nach Ende der Ermittlungen zu informieren, jedoch gebe es im konkreten Fall gleich mehrere Ansatzpunkte für Bedenken. So hätten laut Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 18. Mai 2007 - er liegt der Berliner Morgenpost vor - Ermittlungen ergeben, dass die mg stets weiße Umschläge des Formats C6 für Selbstbezichtigungsschreiben genutzt hatten, die mit selbstklebenden Briefmarken versehen waren. "Hier beginnt der Unfug", so Professor Hegemann. "Der Großteil aller genutzten Briefumschläge entspricht dieser Beschreibung." Zudem scheinen sich Bundesgerichtshof und Bundeskriminalamt in den Formulierungen nicht einig zu sein. Während der erst Genannte im Beschluss vom 18. Mai von einem Verfahren gegen teilweise namentlich bekannte Beschuldigte spricht, ist in einem Vermerk des BKA vom 22. Mai von einem Ermittlungsverfahren gegen unbekannt die Rede. "Für eine juristische Bewertung ist dieser feine Unterschied immens wichtig", so Hegemann.
Ulrike Maercks-Franzen, Geschäftsführerin der Deutschen Journalisten-Union (dju), fragt sich, wie groß das tatsächliche Ausmaß der Durchsuchungen gewesen sein muss: "Ich würde gern wissen, was mit den anderen Informationen, die dem BKA bei der Aktion in die Hände gefallen sind, passiert ist." Es handele sich hier um ein Ausmaß an Kontrolle von Seiten des Staates, das nicht hinzunehmen sei. "Dieser Eingriff in die Pressefreiheit bedarf einer gerichtlichen Überprüfung", sagte Maercks-Franzen.
Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Peter Schaar, wollte sich zu den Vorgängen nicht äußern. Er ließ über seinen Sprecher verlauten: "Uns obliegt es nicht, Rechtsbeschlüsse zu bewerten." Laut seines Sprechers hatte Schaar ebenfalls erst gestern von den Durchsuchungen erfahren.