Wenn die Polizei Post sortiert
Die Ermittler wussten genau, was sie suchten. Bekennerschreiben der "militanten Gruppe" werden, so die Polizei, stets in weißen Umschläge im Format C6 verschickt. Sie sind versehen mit selbstklebenden Briefmarken und selbst gedruckten, ausgeschnittenen Adressaufklebern. Meist wird auf den Umschlägen zudem kein Absender angegeben.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das Bundeskriminalamt Mitte Mai bei einer Postbeschlagnahme-Aktion im Briefzentrum 10 (Berlin-Mitte) tatsächlich zwei Bekennerschreiben fand, die an die Berliner Morgenpost und die Boulevardzeitung BZ adressiert waren. Darin bekannte sich die linksextremistische mg zu zwei kurz zuvor verübten Brandanschlägen. "Wir haben in der Nacht auf den 18.5. Einsatzfahrzeuge der Berliner Polizei in der Spandauer Schmidt-Knobelsdorff-Straße dank unseres bewährten Brandsatzmodells zum Abtransport in die Schrottpresse bereitgestellt", hieß es in dem
Schreiben, das auch die taz erhielt.
Der Polizei ging es bei der Postbeschlagnahme im Briefzentrum 10 aber nicht darum, möglichst schnell den Inhalt der mg-Botschaft zu erfahren. Vielmehr wollte sie die Briefe vor allem kriminaltechnisch untersuchen, und zwar bevor sie von den Redaktionen geöffnet, angefasst und weitergereicht werden.
Die Postbeschlagnahme ist grundsätzlich in der Strafprozessordnung seit Jahrzehnten erlaubt, also keine neue Ermitlungsbefugnis. Und weil es eine sehr alte Befugnis ist, sind auch die Hürden sehr niedrig: Es genügt der Anfangsverdacht auf irgendeine Straftat. Da hier gegen eine vermeintliche "terroristische Vereinigung" ermittelt wird, wären aber auch höhere Hürden für die Polizei kein Problem gewesen. Die Beschlagnahme wurde jedenfalls vom Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof genehmigt.
Ist damit alles in Ordnung? Nein, denn durchgesehen und beschlagnahmt wurde nicht die Post von irgendwelchen Empfängern, sondern von Presseorganen, konkret von Tagesspiegel, Berliner Morgenpost, BZ und Berliner Zeitung. Um die mg-Briefe herauszufischen, mussten also alle an diese Medien gerichteten Schreiben zumindest äußerlich begutachtet werden. Die Polizei konnte also an zwei Tagen vollständig registrieren, wer an diese vier Medien geschrieben hat. Vermutlich haben sich die Ermittler tatsächlich nur für das mg-Schreiben interessiert. Doch in den Augen von Informanten, die sich an diesen Tagen brieflich an die vier Zeitungen gewandt haben, macht es keinen guten Eindruck, wenn die Polizei im Briefzentrum die Redaktionspost sortiert.
Möglicherweise haben die Ermittler sogar alle weißen Briefumschläge gegen eine starke Lichtquelle gehalten, um den Inhalt zumindest zu erahnen. Denn nach Auskunft der Bundesanwaltschaft haben die Beamten schon vor dem öffnen der beiden Briefe erkannt, dass sich darin ein Schreiben mit dem mg-Logo befand. Diese Gegenlichtkontrolle wäre aber eindeutig mehr als äußerliches Begutachten - und ein noch tieferer Eingriff in das Redaktionsgeheimnis.
Vermutlich ist ein derartiges Vorgehen der Polizei schon deshalb nicht von der Strafprozessordnung gedeckt, weil die Polizisten selbst in das Briefzentrum gegangen sind. Nach dem führenden Kommentar zur Strafprozessordnung von Meyer-Goßner ist dies unzulässig. Dort heißt es: "Die Postbeschlagnahme ist die Weisung an ein Postunternehmen, die bereits vorliegenden und/oder die künftig zu erwartenden Postsendungen () auszusondern und auszuliefern." Es liegt auf der Hand, dass der Eingriff in das Redaktionsgeheimnis geringer ist, wenn Postmitarbeiter die Post vorsortieren, als wenn es die Polizei selbst tut.
Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union unterstützt deshalb zurzeit eine Klage beim BGH, die anlässlich einer ähnlichen Beschlagnahme-Aktion in Hamburg klären soll, ob die Polizei mal eben zwei Tage ein Briefzentrum okkupieren und mitsortieren darf.
Breitseite gegen Brieföffner
Chefredakteure und Journalistenverbände haben die Postschnüffelei in Berlin scharf kritisiert. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) bezeichnete die Maßnahmen als "schweren Schlag gegen das Redaktionsgeheimnis" und forderte, dieses müsse grundsätzlich "Vorrang vor dem Ermittlungsinteresse staatlicher Behörden haben", so DJV-Chef Michael Konken. Der Axel-Springer-Konzern behält sich rechtliche Schritte, da zwei seiner Blätter, BZ und Berliner Morgenpost, betroffen waren. Springer sieht die "Verhältnismäßigkeit" zwischen der notwendigen Strafverfolgung und dem Eingriff in das vom Grundgesetz garantierte Postgeheimnis "nicht gewahrt". Gerd Kothy, Vorsitzender des Vereins Berliner Journalisten im DJV nannte die Durchsuchung einen "Cicero-Skandal hoch drei". Die Deutsche Journalistenunion in Ver.di kritisierte auch, das die betroffenen Redaktionen nicht einmal im Vorfeld informiert wurden. So werde der durch die geplante Vorratsdatenspeicherung und andere Maßnahmen ohnehin schon eingeschränkte Informatenschutz "komplett ausgehebelt". STG