Ahnungslos im Blick der Fahnder
Das Verhalten der Bundesanwaltschaft und der mit ihr zusammenarbeitenden Kriminalbehörden wirft zahlreiche Fragen auf. Zwei Mitarbeiter des Tagesspiegels wurden im September 2006 und Anfang 2007 abgehört, als sie ahnungslos mit Personen telefonierten, die als Beschuldigte in einem Terrorverfahren geführt werden. Im selben Zeitraum wurden auch Telefonate anderer Journalisten mit den Beschuldigten aufgenommen. Der Tagesspiegel erfuhr davon erst jetzt aus einer vertraulichen Quelle jenseits von Bundesanwaltschaft und Polizei – womit die Behörden offenkundig gegen ein prinzipielles Recht der Medien verstoßen haben.
Haben die Ermittler korrekt gehandelt?
So weit sich Journalisten nicht selbst strafbar machen und deshalb auf
ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen können, müssen sie weder der
Polizei noch der Justiz noch sonst jemandem Auskunft über Gespräche mit
anderen Personen geben. Die Bundesanwaltschaft gab jedoch an Anwälte
der Beschuldigten Ermittlungsakten weiter, in denen sich Protokolle der
mitgeschnittenen Telefonate der Journalisten befanden. Die betroffenen
Medien ahnten auch davon nichts. Was möglicherweise vertraulich am
Telefon besprochen worden war, landete in den Händen fremder Anwälte.
Ob den Journalisten für die Inhalte der Gespräche ein
Zeugnisverweigerungsrecht und Informantenschutz zustand, entschied die
Bundesanwaltschaft in diesem Fall allein. Die Journalisten wurden nicht
gefragt, auch von der Telefonüberwachung selbst erfuhren sie erst
jetzt. Die Bundesanwaltschaft wollte sich gestern auf Anfrage nicht
äußern. In Sicherheitskreisen hieß es, die Herausgabe von Akten mit
abgehörten Telefonaten von Journalisten, soweit ihnen ein
Zeugnisverweigerungsrecht zustand, hätte nicht geschehen dürfen.
Hätten die Journalisten informiert werden müssen?
Die Telefonüberwachung selbst hätte allerdings den Journalisten
offenbar nicht mitgeteilt werden müssen. Solange ein Verfahren läuft,
kann die ermittelnde Behörde Informationen zurückhalten. Sie muss auch
die Protokolle nicht sofort löschen. Im aktuellen Fall geht es um
Brandanschläge mutmaßlicher Linksextremisten in Berlin und
Schleswig-Holstein, die Ermittlungen dauern noch an.
War der Tagesspiegel direkt betroffen?
Das Bundeskriminalamt betonte gestern auf Anfrage, der Tagesspiegel
selbst sei von keinem Ermittlungsverfahren betroffen und keiner
Telefonüberwachung ausgesetzt.
Wie häufig wird Post überwacht?
Unklar bleibt, wie oft eine „Postbeschlagnahme“ stattfindet. Weder die
Bundesanwaltschaft noch das Bundeskriminalamt wollten oder konnten sich
gestern dazu äußern. Auch über den Eingriff selbst ist wenig bekannt.
Im konkreten Fall wollen BKA-Beamte im Postverteilzentrum Briefe gegen
das Licht gehalten haben, um zu sehen, ob ein fünfzackiger Stern
erkennbar ist. Die linksextreme „Militante Gruppe“ verwendet ein
solches Symbol in ihren Bezichtungsschreiben. Der Stern ist allerdings
klein, die Schreiben Schwarz-weiß-Kopien. Sicherheitsexperten hielten
es dennoch für möglich, dass durch die Kuverts das Symbol der
Militanten Gruppe zu erkennen war. In mehreren Fällen sollen Briefe
aber kopiert worden sein.
Was sagt die Anwaltskammer?
Die Bundesrechtsanwaltskammer hat die polizeiliche Überwachung von
Telefongesprächen zwischen Mandanten und Rechtsanwälten sowie
Journalisten scharf kritisiert. Ein Mitschnitt hätte unterbrochen
werden müssen, wenn die Tatverdächtigen mit Journalisten sprachen. Der
Hamburger Rechtsanwalt Arne Timmermann, der mehrere Beschuldigte in dem
Terrorverfahren vertritt, bestätigte, dass die Gespräche mehrerer
Journalisten protokolliert worden sind. Er gehe davon aus, dass dies
rechtswidrig gewesen sei. In jedem Fall verstoße die Aufnahme dieser
Protokolle in die Ermittlungsakten gegen das Verwertungsverbot. „Das
heißt aber nicht, dass es besser gewesen wäre, die Behörden hätten
geheime Parallelakten angelegt“, sagte Timmermann. Die beteiligten
Anwälte, deren Gespräche teilweise ebenfalls protokolliert worden sind,
erwägen rechtliche Schritte.
Was sagen die Parteien?
Neben der Gewerkschaft Verdi, die zahlreiche Journalisten vertritt, hat
auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) die Öffnung von Post an
Berliner Zeitungen durch das BKA als schweren Verstoß gegen das
Redaktionsgeheimnis kritisiert. Die Abwägung zwischen Pressefreiheit
und Sicherheit sei „einmal mehr zulasten der Freiheit“, sagte
DJV-Vorsitzender Michael Konken. Er forderte die Behörden auf, das
Urteil im Rechtsstreit um die Zeitschrift „Cicero“ zu berücksichtigen:
Das Bundesverfassungsgericht hatte kürzlich eine Durchsuchung der
„Cicero“-Redaktion durch das Bundeskriminalamt als unverhältnismäßig
verurteilt.
Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen,
Renate Künast, forderte angesichts der Postkontrollen die Medien auf,
die Politik des Innenministers Wolfgang Schäuble (CDU) genauer zu
beobachten. Auch der Berliner SPD–Innenexperte Thomas Kleineidamm
forderte von seinen Parteikollegen im Bundestag, sich die rechtliche
Grundlage der Polizeiaktion im Detail darstellen zu lassen. Der Chef
der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann, sprach von
einem „Schritt in den Überwachungsstaat“.
Martin Lindner,
Vorsitzender der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, erklärte, dass die
Beamten in diesem Fall offensichtlich „über das Ziel hinausgeschossen“
seien. Die Kontrolle von Briefen sowie das Abhören von
Telefongesprächen ohne das Wissen der betroffenen Redaktionen seien ein
„ungeheuerlicher Vorgang“. Unter solchen Umständen könne kein Redakteur
mehr den Schutz seiner Informanten gewährleisten.
In den
Fokus der Ermittlungsbehörden zu geraten, ist offenbar auch über das
Internet möglich. Es reiche, sich über die aktuellen Fahndungen des BKA
online zu informieren, beschwerte sich die Gewerkschaft Verdi. Im März
2007 schaltete das BKA eine Homepage zur „Militanten Gruppe“. Das
Kalkül der Beamten: Unter den Usern könnten sich auch die Gesuchten
befinden. Ausgewertet wurden nach Verdi-Angaben insgesamt 417
IP-Adressen.