Kritik an Postdurchsuchung in Berlin
Nicht nur in Hamburg, auch in der Bundeshauptstadt durchsuchten Ermittler
Post, um Brandanschläge aufzuklären. Zwei Briefe lasen sie mit, Journalisten
fürchten nun um die Basis ihrer Arbeit – den Informantenschutz.
Erst bedienten sich Justizbeamte an Hamburger Postkästen, nun gab es
Ähnliches in Berlin – Staatsanwaltliche Ermittlungen sorgen für Ärger:
Fahnder haben Post an Zeitungsredaktionen abgefangen, um Hinweise auf Täter
zu erhalten, die im Frühjahr Brandanschläge verübt hatten. Die «Militante
Gruppe» (mg), eine Vereinigung von Globalisierungskritikern, stand unter
Verdacht, im Vorfeld des G8-Gipfeltreffens im Sommer im Ostseebad
Heiligendamm Autos angezündet zu haben.
Die Bundesanwaltschaft hatte dazu im Mai 2007 zwei Bekennerschreiben der
Militanten Gruppe (mg) an zwei Berliner Zeitungen geöffnet – ein klarer
Bruch des Postgeheimnisses. In den an die «Berliner Morgenpost» und die «BZ»
(Axel-Springer-Verlag) gerichteten Schreiben bekannte sich die Vereinigung
zu Anschlägen, wie eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft sagte. Um die
Briefe zu finden, untersuchten Fahnder zuvor eine große Zahl von
Postsendungen von außen her.
Ziel war es, lediglich solche Sendungen zu beschlagnahmen, die darauf
schließen ließen, dass die Kuverts Bekennerschreiben zu Anschlägen
enthielten. Bei den beiden beschlagnahmten Briefen lagen die Fahnder
richtig. In der Vergangenheit hatte sich die mg in Schreiben an Berliner
Zeitungen mehrfach zu Brandanschlägen bekannt.
Redaktionsgeheimnis Vorrang
Die Suchaktion hatte ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes
genehmigt. Anlass waren Brandanschläge am 18. Mai 2007 auf Autos der
Berliner Polizei, bei denen Beamte Mitglieder der Militanten Gruppe auf
frischer Tat ertappt hatten. Daraufhin beäugten die Fahnder vom 18. bis 22.
Mai Briefe im Berliner Briefzentrum 10, die an die regionalen Zeitungen
adressiert waren, konkret die «Berliner Zeitung», die «Berliner Morgenpost»,
die «BZ» und den «Tagesspiegel».
Der Axel-Springer-Verlag schloss rechtliche Schritte gegen die richterlich
genehmigte Ausspähung nicht aus. Rechtsexperten sehen bei derartigen
Aktionen die Verhältnismäßigkeit der Mittel gefährdet. Das
Redaktionsgeheimnis müsse «auf jeden Fall» Vorrang vor staatlichen
Ermittlungen haben, sagte auch der Vorsitzende des Deutschen
Journalisten-Verbands (DJV), Michael Konken. Auch die Gewerkschaft Verdi
sieht durch die Aktion den Informantenschutz ausgehebelt.
In Berlin geriet im Zuge der Ermittlungen auch ein Wissenschaftler, der
jahrelang für die Humboldt-Universität arbeitete, ins Blickfeld der Fahnder.
Weil sich bestimmte Begriffe aus Bekennerschreiben in Texten des Soziologen
fanden, nahmen Polizisten den 36-Jährigen am 31. Juli in seiner Wohnung
fest. Die Bundesanwaltschaft stellte einen Tag später einen Haftbefehl aus,
setzte ihn jedoch Ende August außer Vollzug. Ende Oktober hob der
Bundesgerichtshof die Order vollkommen auf, mangels dringenden Tatverdachts,
dass der Soziologe der «militanten gruppe» selbst angehört.
Am Postkasten bedient
Nahezu zeitgleich zu der Berliner Postaktion hatten Ermittler in Hamburg
Briefe durchwühlt. Globalisierungskritiker hatten dort im Frühjahr Dutzende
Anschläge auf Autos und Gebäude verübt, unter anderem auf das Fahrzeug von
«Bild»-Chefredakteur Kai Diekmann. Seit 2005 war das in der Hansestadt zwar
immer wieder vorgekommen, damals häuften sich jedoch die Taten.
Die Polizei ermittelte weitgehend erfolglos. Wie Zeitungen berichteten,
bedienten sich die Beamten jedoch direkt an den Einwurfstellen: Beamte
überraschten Postmitarbeiter beim Leeren der Briefkästen und nahmen mit, was
ihnen verdächtig erschien. (nz/AP/dpa)
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