Empörung über Postkontrolle
In Berlin wurden Briefe an Tageszeitungen von der Bundesanwaltschaft
beschlagnahmt und kontrolliert. Gesucht wurden vermutete Bekennerschreiben
einer linksextremen Gruppe. Journalisten und Juristen warnen vor einer
Aushöhlung des Informantenschutzes.
Berlin - Der Vorfall liegt schon einige Monate zurück. Doch die Empörung
unter Journalisten, Gewerschkaften und Juristen bleibt. Im Mai war nach
einem Beschluss des Bundesgerichtshofs an fünf aufeinanderfolgenden Tagen
die Post untersucht worden. Im Visier des Bundeskriminalamts und der
Bundesanwaltschaft: die "Berliner Zeitung", die "Berliner Morgenpost", die
"B.Z." und der "Tagesspiegel".
Der Hintergrund für den massiven Aufwand der Sicherheitsbehörden: Gesucht
wurden Bekennerschreiben der linksextremen "Militanten Gruppe" (mg), der
mehrere Brandanschläge in der Region zur Last gelegt werden.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisierte heute erneut das
Vorgehen des Bundeskriminalamtes als schweren Verstoß gegen das
Redaktionsgeheimnis. Dessen Schutz müsse Vorrang vor dem
Ermittlungsinteresse staatlicher Behörden haben, sagte der
DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken am Freitag in Berlin.
Die Abwägung zwischen Pressefreiheit und Sicherheit sei "einmal mehr zu
Lasten der Freiheit der Medien erfolgt", kritisierte Konken. Er forderte
die Ermittlungsbehörden auf, den Tenor des
"Cicero"-Urteils zu berücksichtigen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende Februar die Durchsuchungsaktion
des Bundeskriminalamtes bei dem Politmagazin "Cicero" als
unverhältnismäßig verurteilt und dem Informantenschutz Vorrang vor
staatlichen Ermittlungen attestiert.
Der Chefredakteur der "Berliner Morgenpost", Carsten Erdmann,
äußerte heute ebenfalls scharfe Kritik an der Beschlagnahmung von Briefen
durch die Bundesanwaltschaft. Die Bespitzelung von Redaktionen hebele den
für die Presse so wichtigen Informantenschutz aus, sagte Erdmann.
Auch Jan Hegemann, Rechtsbeistand des Verlages Axel Springer, zu dem die
"Berliner Morgenpost" gehört, zeigte sich am Freitag besorgt.
Medienpolitisch sei die Polizeiaktion sehr problematisch und berge die
Gefahr, die Pressefreiheit und den Informantenschutz so sehr auszuhöhlen,
dass diese nur noch zur Dekoration dienen könnte, sagte er dem Blatt.
Das Büro des Bundesdatenschutzbeauftragten sagte dem " Tagesspiegel"
hingegen, die Kontrolle der Post sei wegen des vorliegenden richterlichen
Beschlusses "formal korrekt" gewesen.
sev/dpa/ddp