Gegen den inneren Feind
Folgen des »Deutschen Herbstes«: Juristen beklagen Einschränkung der Grundrechte im »Kampf gegen den Terror« von Sebastian Wessels
Nicht nur die militanten Aktionen der Rote-Armee-Fraktion (RAF) erreichten im September und Oktober 1977, im sogenannten »Deutschen Herbst«, ihren Höhepunkt, sondern auch die gesetzgeberische und justitielle Aufrüstung des Staates gegen politischen Widerstand. Nachdem die Bedeutung der RAF in den 90er Jahren schwand und sie sich 1998 schließlich auflöste, haben staatliche Akteure neue Feinde ausgemacht, die als Begründung für immer weitergehende Grundrechts-einschränkungen herhalten müssen. Am Montag abend luden der »arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen« an der Humboldt-Universität und die Vereinigung Berliner Strafverteidiger zu einer Podiumsdiskussion über »Die juristischen Folgen des Deutschen Herbstes«, um diese Entwicklungen zu resümieren und einen Ausblick in die Zukunft zu wagen.
An der Aktualität des Themas konnte es keinen Zweifel geben: Erwähnung fanden die Vorstöße in Richtung Rasterfahndung, Inlandseinsatz der Bundeswehr, Abschüsse entführter Passagierflugzeuge, Telekommunikationsüberwachung -- und natürlich die aktuellen Verfahren nach Paragraph 129a des Strafgesetzbuchs. Dieser stellte die »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« unter Strafe, sei aber in der Praxis vielmehr »dafür da, politische Bewegungen zu überwachen, auszuforschen und abzuschrecken«, so Christina Clemm, die Strafverteidigerin des Berliner Soziologen Andrej H. Dieser ist gegenwärtig von einem der berüchtigten 129a-Verfahren betroffen und wird seit vielen Monaten umfassend überwacht, weil die Bundesanwaltschaft ihm vorwirft, Mitglied in der »militanten gruppe« (»mg«) zu sein.
An Clemms Vortrag wurde deutlich, daß das rechtsstaatlich zweifelhafte Vorgehen der Justiz, das im Deutschen Herbst massive Kritik provozierte, keineswegs nur Geschichte ist -- so werde ihre sämtliche Korrespondenz mit ihrem Mandanten Andrej H. überwacht, die im Rechtsstaat vertraulich sein müßte. Auch gebe es deutliche Hinweise, daß man ihr Ermittlungsakten vorenthalte. Die Antiterrorgesetzgebung seit den 70er Jahren stehe in einer Tradition der »innerdeutschen Feindbekämpfung«, die bereits 1952 mit der Kommunistenverfolgung begonnen habe und zur »Herrschaftssicherung« immer weiter die Grundrechte beschneide, so Martin Kutscha, Vorsitzender der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen. Jasper von Schlieffen, Geschäftsführer des Organisationsbüros der Strafverteidigervereinigungen wies auf den 2002 eingeführten Paragraphen 129b hin, der die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung unter Strafe stellt. Wenn Beweismittel, die von ausländischen Behörden geliefert werden, durch Folter gewonnen wurden, dürften sie nicht verwertet werden. Ihr unrechtmäßiges Zustandekommen allerdings müsse die Verteidigung beweisen.