Persönlicher Zoff und uralte Konflikte:»telegraph« trennt DDR-Bürgerrechtler

Nicht erst seitdem der »telegraph« ins Visier des Bundeskriminalamtes (BKA)
geraten ist, ist von Zusammenhalt unter den früheren DDR-Bürgerrechtlern
nicht viel zu spüren.
»Wir wussten gar nicht, dass wir so wichtig sind«, so die erste Reaktion von
Dirk Teschner, Redakteur des »telegraph«. Die kleine linke Zeitschrift mit
Sitz im Berliner Haus der Demokratie kommt jährlich zweimal heraus - wenn
die Redaktion Geld aufgetrieben hat. Die Auflage ist nicht groß, der Preis
liegt um die fünf Euro. Aus aktuellem Anlass widmet sich die in Kürze
erscheinende nächste Nummer vor allem dem Terrorparagraphen 129a.
Schließlich haben die Ermittler im Fall »militante gruppe« und »Andrej H.«
den »telegraph« ganz genau gelesen. Drei der Stammautoren, unter ihnen
Andrej H., sind ins Visier des Bundeskriminalamtes (BKA) geraten. Die
Zeitung ist bekannt geworden, Leute interessieren sich und bieten Texte
an, »das hat uns einen ziemlichen Schub gegeben«, sagt Dirk Teschner.
Beim »telegraph« ist man an die Aufmerksamkeit von Geheimdienst und
Staatsschützern quasi gewöhnt: Vor 20 Jahren stürmte die Staatssicherheit
(Stasi) der DDR die Räume der UmweltBibliothek und verhaftete drei
Redakteure der Umweltblätter, dem Vorläufer des »telegraph«. Eine
beispiellose Solidaritätswelle setzte ein, die drei mussten nach kurzer Zeit
wieder auf freien Fuß gesetzt werden.
Von einer solchen Solidarität durch DDR-Bürgerrechtler ist heute wenig zu
spüren, erzählt Teschner. Die Szene ist zerstritten, uralte Konflikte und
Hierarchie-Streitigkeiten wurden nicht oder allenfalls per offenen Briefen
ausgetragen. Nie ausgeräumt wurde eine Auseinandersetzung, die sich 2004 an
Wolfgang Templin entzündet hatte. Templin habe in den Neunzigern für die
rechtsradikale »Junge Freiheit« Kolumnen geschrieben, so
die »telegraph«-Leu?te, die den Bürgerrechtler auf einer Veranstaltung im
Berliner Haus der Demokratie zur Rede stellen wollten. Wer hinter jedem Baum
einen Faschisten vermute, sei selber einer, hatten Templins Verteidiger
erwidert und eine öffentliche Entschuldigung von der Redaktion verlangt.
Vielleicht sei an den Terror-Vorwürfen »ja auch was dran«, beschreibt
Teschner die Stimmung, die der Redaktion heute von einigen Bürgerrechtlern
entgegenschlägt.
Zudem gehe es um Spannungen bei der Zeitung »Horch und Guck«, die vom
Bürgerkomitee 15. Januar herausgegeben wird und sich mit der Aufarbeitung
der DDR-Vergangenheit befasst. Deren Redakteure müssten sich mit ihrem
Geldgeber, der Stiftung Aufarbeitung, gutstellen, vermutet Teschner.
Der »telegraph« sei zu links.
Doch es gibt auch andere Positionen. So hat die Vereinigte Linke (VL) nicht
nur Geld gegeben, sondern der Historiker Thomas Klein, der zur VL gehört,
befasst sich in einem Beitrag mit den KPD-Verboten. Zudem wird es Interviews
mit den beschuldigten Redakteuren sowie einen Artikel über die Geschichte
der 129a-Soligruppe geben. www.telegraph.ostbuero.de
von Anke Engelmann