Kritische Wissenschaft unter Terrorverdacht

Am 31. Juli wurden in Brandenburg/Havel drei Männer verhaftet. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) geschah dies bei dem Versuch, auf dem MAN-Gelände Lastfahrzeuge der Bundeswehr in Brand zu stecken. Tags darauf wurde der an der Humboldt Universität lehrende Stadtsoziologe Andrej Holm festgenommen. Ihm wird, genauso wie den drei anderen, auf Grundlage des §129a des Strafgesetzbuches die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Von Elsa Koester und Niklas Pollaczek

Die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen den Soziologen erscheint bei näherer Betrachtung der Begründungen des Haftbefehls als ein gewagtes Konstrukt. Er wird der Mitgliedschaft in der militanten Gruppe (mg) bezichtigt, welche seit 2001 für mehrere Brandanschläge verantwortlich gemacht wird, bei denen keine Personen zu Schaden kamen.

Die Indizien, welche zu Andrej Holms Verhaftung geführt haben, sind folgende: Er hatte Kontakt zu einem der anderen Verhafteten. In Bekennerschreiben der mg tauchen Schlagwörter und Phrasen auf, welche er in seinen wissenschaftlichen Arbeiten verwendete. Zudem stünden ihm »Bibliotheken zur Vefügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der mg erforderlichen Recherchen durchzuführen«, und er sei als promovierter Politologe »intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der militanten Gruppe zu verfassen«. Die identische Autorenschaft von Andrejs wissenschaftlichen Texten und den mg - Publikationen meint das BKA anhand weniger ‚äußerst‘ seltener Schlagwörter, wie »Reproduktion«, »implodieren«, »politische Praxis« und »Gentrification« nachweisen zu können. Durch diese kontruierten ‚Indizien‘ wird deutlich, dass der §129a es ermöglicht, anstelle konkreter Tatvorwürfe Kontakte und Gesinnung unter Strafe zu stellen. Die Bundesanwaltschaft sieht in Andrej Holm offenbar den intellektuellen Kopf der mg, dies wird allein durch seine kritische wissenschaftlichen Arbeit und Kontakte zu den sozialen Bewegungen begründet.

Die Verhaftung Andrejs hat eine Welle von Solidarisierungen ausgelöst. Unter anderem wurde ein Offener Brief iniziiert, in dem die Freilassung der Verhafteten gefordert wird. Unter den UnterzeichnerInnen befinden sich die FU-ProfessorInnen Elmar Altvater und Margit Mayer sowie zahlreiche mitunter prominente internationale WissenschaftlerInnen. Der wissenschaftliche Beirat von Attac kritisiert in einer Erklärung, dass die wissenschaftliche Tätigkeit von Andrej Holm als Begründung für den Haftbefehl herangezogen wird: »Dadurch wird kritische Gesellschaftsanalyse nicht nur kriminalisiert, sondern unmittelbar dem Terrorismusverdacht ausgesetzt«.

Auch der ReferentInnenrat der Humboldt-Universität zeigte sich bestürzt über die Kriminalisierung kritischer Wissenschaft. »Es kann nicht angehen, dass wissenschaftliches Arbeiten mit Isolationsfolter bestraft wird!«, erklärte Publikationsreferent Tobias Becker gegenüber AStA Info.

Nach drei Wochen unter skandalösen Haftbedingungen ist Andrej aus der Untersuchungshaft entlassen worden und wartet nun, ebenso wie Oliver, Axel und Florian, auf seinen Prozess.

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