Verdächtige Wörter
Denn H., der aktiv an der Mobilisierung der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm beteiligt war, hatte in seinen wissenschaftlichen und politischen Texten das Wort »Gentrifizierung« benutzt, ein Wort, zu dessen praktischer Bedeutung er auch seine Doktorarbeit in Soziologie verfaßt und sich international einen Namen gemacht hatte. Er hatte auch selbst, in verschiedenen Nachbarschaftsinitiativen und linken Gruppen mitgearbeitet, die sich mit diesem Thema befassen: der Veredelung von Stadtvierteln, dem Mietenanstieg und der Verdrängung der bisherigen Bewohner. Das Problem: Eine derzeit als »terroristisch« eingestufte Vereinigung mit dem Namen »militante gruppe« (mg) benutzte in ihren Anschlagserklärungen und Diskussionspapieren das Wort »Gentrifizierung« ebenfalls.
Nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamts (BKA) agiert eine Gruppe dieses Namens seit dem Jahre 2001 mit Brandanschlägen gegen Großkonzerne, Verwaltungen und Polizeifahrzeuge, und sie äußert sich zu so unterschiedlichen Themen wie Stadtentwicklung, Militarismus, institutionellem Rassismus, Zwangsarbeiterentschädigung, schlechten Arbeitsbedingungen von Beschäftigten oder Hartz IV. Generalbundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt wüßten gern, wer sich hinter der »mg« verbirgt; bisher ist es den Behörden – trotz mehrerer angelaufener Ermittlungsverfahren – nicht gelungen, Einblick in deren Strukturen zu erlangen.
In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) versuchten es die Ermittler daher im Spätsommer 2006 mit einer Internet-Recherche, bei der sie Texte der »mg« mit dem world-wide-web abglichen. Herausgefischt wurde ein Text eines Politikwissenschaftlers über die UCK, die bewaffnete albanische Separatistenorganisation im Kosovo, den dieser im Jahre 1998 in der Berliner Zeitschrift telegraph veröffentlicht hatte. Dieser Text wird mit einem Papier der »mg« von 2004 verglichen, und es finden sich neun übereinstimmende Wörter, darunter auch »drakonisch«, »marxistisch-leninistisch«, »Reproduktion« und »politische Praxis«. Das reicht der Generalbundesanwaltschaft, der Anregung des BKA folgend, den Politikwissenschaftler fortan 24 Stunden am Tag überwachen zu lassen und ihn nach § 129a Strafgesetzbuch der Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung«, namentlich der »militanten gruppe«, zu beschuldigen.
Das Konstrukt: Der Politikwissenschaftler sei der intellektuelle Kopf der »mg«, schreibe für sie deren Texte. Fortan wird nun auch geprüft, mit wem der Politologe Kontakte pflegt. Unter diesen Kontakten findet sich Andrej H., der Soziologe. Noch zwei weitere Sozialwissenschaftler, auch sie entweder beruflich oder freundschaftlich mit dem Politologen verbunden, geraten in das Visier der Ermittlungsbehörden und werden daraufhin ebenfalls 24 Stunden am Tag überwacht: heimliche Beschattung, Telefon, Mobiltelefon, Internet-Nutzung, Freundinnen und Freunde, all inclusive. Und all das seit September 2006 ohne jeglichen Ertrag für die Behörden. Doch der zuständige Richter genehmigt die Fortführung der Observationen und ist auch bereit, den »Anregungen« des BKA zu folgen, also die Überwachung auszuweiten. Obwohl es keinerlei Anhaltspunkte für »terroristische« Aktivitäten gab und obwohl das Kriminaltechnische Institut des BKA im April 2007 in einem Gutachten zu dem Ergebnis kam, daß es zwischen dem telegraph -Text von 1998 und dem »mg«-Schreiben von 2004 keine »aussagekräftigen Übereinstimmungen« gebe. Für Andrej H. gab das enttäuschte BKA nicht einmal eine Textvergleichsanalyse in Auftrag.
Anfang August 2007 nahm ein Sonderkommando der Berliner Polizei in Brandenburg drei Männer fest. Sie sollen versucht haben, Lastwagen der Bundeswehr in Brand zu setzen. Nach Angaben der Ermittler verwendeten sie Yoghurt-Becher mit Brandbeschleunigern. Einer der drei, die äußerst grob verhaftet und behandelt wurden, so daß sich Parallelen zu Guantanamo aufdrängten, soll sich fünf Monate zuvor mit Andrej H. getroffen und mit ihm über einen gemeinsamen E-Mail-Zugang kommuniziert haben. Das reichte der Generalbundesanwaltschaft, um Andrej H. ebenfalls zu verhaften. Seitdem sehen sich insgesamt sieben Personen dem Terrorvorwurf nach § 129a gegenüber. Während Andrej H. nicht zuletzt aufgrund internationaler Proteste nach drei Wochen gegen Kaution freigelassen wurde, sitzen die drei Antimilitaristen noch immer in Haft. Und die Generalbundesanwaltschaft blieb gegen alle sieben Beschuldigten bei dem Vorwurf, Mitglied »terroristischen« Vereinigung »militante gruppe« zu sein.
Aber auch die Proteste halten an: Zahlreiche namhafte wissenschaftliche Vereinigungen, darunter die American Sociological Association und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), mehr als 8.000 SozialwissenschaftlerInnen aus aller Welt protestieren gegen das Vorgehen von GBA und BKA. An einer Veranstaltung im Großen Haus der Volksbühne am 30. September 2007 zur politischen Dimension des Verfahrens und des Terrorismusvorwurfs nahmen an einem Sonntagmorgen mehr als 600 ZuhörerInnen teil. Mit großem Beifall des Publikums wurde in der nachfolgenden Diskussion der Vorschlag eines Zuhörers aufgenommen, die versuchte Brandstiftung doch eher als »konkrete Abrüstungsinitiative« zu verstehen.
So lächerlich angesichts des weltweiten Einsatzes geächteter Waffen, zum Beispiel Streubomben, der Begriff »Terrorismus« im Zusammenhang mit diesem Verfahren auch wirken mag, der Angriff des Staates mit dem § 129a hat für die Betroffenen, ihre Angehörigen, FreundInnen und VerteidigerInnen erhebliche Auswirkungen. Beschuldigte werden inhaftiert, auch wenn keine konkreten Straftaten vorliegen. Und dann? Behalten sie ihre Arbeit? Wer zahlt die Miete? Wie geht es den Partnern, Kindern, Eltern? Welche Anwälte sind verfügbar? Was wird den Beschuldigten eigentlich vorgeworfen? Was bedeutet das juristisch, aus Bürgerrechts-, Menschenrechts-, politischer Perspektive? Wie kann man mit wem darüber reden und darauf reagieren? Was wollen die Gefangenen? Wie stellt man Kontakt zu Leuten her, die man selber nicht kennt, die einen selbst nicht kennen? Kann man – und wie – Vertrauen aufbauen? Wie geht man damit um, daß man nun selbst überwacht wird? Es sind solche Fragen, die eine gewisse Orientierungszeit, eine solidarische Umgangsweise und ein vorsichtiges Agieren zugleich erfordern. Jemand muß einen Text verfassen. Man muß Leute anrufen, bei Bürgerrechtsorganisationen, bei (wissenschaftlichen) KollegInnen, bei Kunst, Kultur und Politik vorsprechen – und man muß sich klarmachen, daß über den staatlichen Umgang mit unseren Grundrechten, Menschenrechten, Bürgerrechten wenig bekannt ist. Man muß zusammensitzen und überlegen, was die Vorwürfe aus welcher Perspektive für wen bedeuten. Und welche Forderungen sind vorrangig? Freilassung! Einstellung des Verfahrens nach § 129a! Abschaffung des Paragraphenkaskade 129, 129a, 129b!
Das ganze verfluchte Verfahren kostet nicht nur Kraft, es kostet auch Geld. Spenden sind dringend erbeten an: Rote Hilfe e.V., Bank: Berliner Bank, Konto-Nr.: 718 9590 600, BLZ: 100 200 00, Verwendungszweck: Repression 31.7.2007 (IBAN: DE78 1002 0000 7189 5906 00, BIC: BEBEDEBB). [ANMERKUNG: Kontodaten sind seit Januar 2010 nicht mehr aktuell!]
Volker Eick, Erschienen in Ossietzky 21/2007