Terrorfahndung oder Schnüffelei?
Wie weit darf der Rechtsstaat bei der Terrorbekämpfung gehen, um ein Rechtsstaat zu bleiben? Bei den Ermittlungen gegen den Berliner Soziologen Andrej H. wurde die Grenze überschritten, meint der RAV.
Wer wissen will, wie sich der Überwachungsstaat anfühlt, kann das unter www.annalist.noblogs.org tun. Die Lebensgefährtin des Berliner Stadtsoziologen Andrej H. berichtet hier vom Alltag in totaler Überwachung: Das Haus von Kameras und Ermittlern Tag und Nacht beobachtet, Telefon- und Internetverbindungen, die sich auf mysteriöse Weise selbstständig machen, permanente Angst vor einer Verhaftung. Das dürfte nun anders werden. Am Mittwoch hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt, dass sich die Vorwürfe gegen Andrej H. auf »bloße Vermutungen stützen« und den Haftbefehl gegen ihn aufgehoben. In etwa drei Wochen will das BGH sich dazu äußern, ob die drei noch inhaftierten Beschuldigten unter den Paragrafen 129a fallen.
Auf der Suche nach Terroristen hat das Bundeskriminalamt (BKA) 19 Zeugen geladen. Ein Großteil von denen zieht es jedoch vor, zu schweigen: 13 hätten die Aussage verweigert, verlautete aus der Unterstützer-Gruppe.
Gesinnungsschnüffelei und Verfolgung aufgrund einer politischen Haltung: Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) warnte davor, die Trennung von präventiven geheimdienstlichen und verfolgenden polizeilichen Ermittlungen aufzuheben. Nach den Erfahrungen der Nazizeit soll sie verhindern, dass Menschen aufgrund unbewiesener Verdachtsmomente verfolgt werden. Genau das sei bei Andrej H. passiert, so der RAV. Die Bundesanwaltschaft sei mit den »schärfsten strafprozessual zur Verfügung stehenden Mitteln« vorgegangen, obwohl sie ihren Anfangsverdacht auch nach einem Jahr Observationen und Ermittlungen nicht erhärten konnte.
Letzteres sah auch der BGH so. Haftbefehl und Untersuchungshaft von Andrej H. seien nicht ausreichend begründet worden: Indizien seien »auch auf andere Weise zu interpretieren«, die Zugehörigkeit des Soziologen zur militanten gruppe (mg) »nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit« belegt, auch die Beweise in ihrer Gesamtheit nicht mehr als für einen Anfangsverdacht gut, kanzelte der Vorsitzende des 3. Strafsenats, Richter Klaus Tolksdorf, die Bundesanwaltschaft ab.
Doch woran erkennt man einen Terroristen? Das Bündnis für die Einstellung des 129a-Verfahrens hat augenzwinkernd einen Preis ausgelobt für den, der der Bundesanwaltschaft mit einer griffigen Definition aushelfen kann. Als Preise winken eine Stadtführung mit »latent terroristischen Stadtforschern« zum Thema Gentrifizierung in Berlin-Prenzlauer Berg, eine »unverfängliche Verabredung« zur Lesung mit ebenfalls verdächtigten Autoren des Buches »Autonome in Bewegung« und – für strafrechtlich relevante Beiträge und unter Ausschluss des Rechtsweges – ein Hubschrauberflug nach Karlsruhe.
Ebenfalls im Visier der Ermittler: der Berliner »telegraph«, eine kleine linke Zeitschrift aus Berlin, schon zu DDR-Zeiten als »UmweltBlätter« von der Staatssicherheit drangsaliert. Unmittelbar von Verhaftungen und Hausdurchsuchungen betroffen waren drei Autoren und Mitarbeiter des zweimal jährlich erscheinenden Magazins, andere sind als Zeugen geladen. Für die »telegraph«-Leute, die zum Teil aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung kommen, fast wie eine Zeitreise. »Wir kennen das«, sagt Redakteur Dirk Teschner, »und unsere Vorsicht haben wir nie abgelegt: zum Beispiel am Telefon nichts zu sagen.« Im November 1987 stürmte die DDR-Staatssicherheit die UmweltBibliothek und verhaftete drei der Herausgeber.