BGH: Verschlüsselung von E-Mails begründet keinen dringenden Tatverdacht
Der Fall sorgt schon seit einiger Zeit für Aufregung. Die Generalbundesanwaltschaft führt gegen den promovierten Soziologen Andrej H. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Am 1. August 2007 erließ der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs auf Antrag der Generalbundesanwaltschaft Haftbefehl gegen den Soziologen, der daraufhin in Untersuchungshaft genommen wurde.
Wissenschaftler aus aller Welt protestierten gegen die Inhaftierung. Für Skepsis sorgten vor allem die als fragwürdig empfundenen Anhaltspunkte, aus denen die Generalbundesanwaltschaft den Tatverdacht herleitete. Eine Internetrecherche des Bundeskriminalamtes brachte die Ermittler auf die Spur des später Inhaftierten, der mit Begriffen wie "Gentrification" oder "Prekarisierung" ähnliche Begriffe verwendet hatte, wie sich auch in einem Bekennerschreiben der "militanten gruppe" (mg) auftauchten. Außerdem verfügte er nach Angaben der Ermittler "über Zugang zu Bibliotheken, um dort die Recherchen durchzuführen, die notwendig sind, um Texte für eine militante Gruppe zu verfassen." Rechtsanwältin Christina Clemm, die den Berliner Soziologen vertritt, sprach von einer "Beweisnot der Ermittlungsbehörden".
Mit Beschluss vom 22. August 2007 hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl gegen Andrej H. außer Vollzug gesetzt, wogegen die Generalbundesanwaltschaft Beschwerde eingelegt hatte. Diese Beschwerde wies der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zurück und hob gleichzeitig den Haftbefehl endgültig auf. Im nunmehr im Volltext vorliegenden Beschluss des Senates äußern sich die BGH-Richter zum Ausmaß des Tatverdachts und nehmen dabei auch zur Frage Stellung, inwieweit eine Verschlüsselung von E-Mails einen Verdacht begründen kann.
Denn als Ergebnis der Ermittlungen tauschte sich Andrej H. mit einem weiteren Verdächtigen, "L.", über einen Yahoo-Account mit verschlüsselten E-Mails aus. Dazu suchten Andrej H. und L. jeweils Internetcafés auf und speicherten die E-Mails im Entwurfsordner des Accounts. So konnte der jeweils andere beim Login die Nachrichten lesen, ohne dass sie als E-Mail verschickt werden mussten. "Ein solches Vorgehen deutet zwar darauf hin, dass der Beschuldigte seine Kontakte zu L. und die mit diesem zu besprechenden Themen geheim halten wollte" führt der BGH nun aus. Gleichwohl lägen die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nicht vor; denn die Ermittlungsergebnisse begründen nach Auffassung des Gerichts keinen dringenden Tatverdacht gegen den Andrej H. Ein solcher dringender Tatverdacht sei nur gegeben, "wenn den ermittelten Tatsachen entnommen werden kann, dass sich der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit der ihm angelasteten Tat schuldig gemacht hat; bloße Vermutungen genügen dagegen nicht".
Mit Blick auf die verschlüsselten E-Mails reiche der bloße Umstand der Verschlüsselung nicht aus, entscheidend sei vielmehr der Inhalt. "Ohne eine Entschlüsselung der in den Nachrichten verwendeten Tarnbegriffe und ohne Kenntnis dessen, was bei den - teilweise observierten und auch abgehörten - Treffen zwischen dem Beschuldigten und L. besprochen wurde, wird hierdurch eine mitgliedschaftliche Einbindung des Beschuldigten in die 'militante gruppe' jedoch nicht hinreichend belegt", beurteilte der 3. Strafsenat die Verdachtslage. Auch geben die Richter zu bedenken, dass Andrej. H. "ersichtlich um seine Überwachung durch die Ermittlungsbehörden wusste". Schon allein deshalb konnte er "ganz allgemein Anlass sehen", seine Aktivitäten zu verheimlichen.
(Dr. Marc Störing) / (jk/c't)