Interview mit Andrej Holm: Überwacht nur wegen politischen Engagements?
Gestern wurde der Haftbefehl gegen den Wissenschaftler Andrej Holm, der an der Humboldt-Universität lehrt, aufgehoben. Seine Anwälte fordern auch die Einstellung des Verfahrens der Bundesanwaltschaft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Erstmals redet der Soziologe selbst über Festnahme und Haft.
Der Haftbefehl wurde aufgehoben, aber das Verfahren ist noch nicht beendet. Was bedeutet das für Sie?
Das Wichtigste ist, dass mir keine erneute Untersuchungshaft droht. Das war keine schöne Erfahrung. Auch die Meldeauflagen fallen weg, die Kaution wird zurückgezahlt und ich brauche keine richterliche Genehmigung mehr, wenn ich das Land verlassen will. Die Unsicherheit, wie lange die Haft dauert, war sehr zermürbend. Ich habe 23 Stunden in der etwa sieben Quadratmeter großen Zelle verbracht, die mit Stuhl, Schrank und Toilette voll gestellt war. Einmal täglich durfte ich für eine Stunde in den Hof, mit zwei anderen Personen. Nur mit einem konnte ich reden, der andere konnte kein Deutsch. Wenn meine Anwältin oder meine Familie zu Besuch kam, trennte uns eine Panzerglasscheibe, und alle Gespräche wurden aufgezeichnet.
Wie wurden Sie eigentlich verhaftet?
Am 31. Juli gegen 7 Uhr wurde ich vom Hämmern an der Tür geweckt. Als ich öffnete, wurde ich zu Boden gerissen. Dann stürmte ein Dutzend bewaffneter Männer die Wohnung und sicherte ein Zimmer nach dem anderen, darunter den Raum, wo unsere Kleinkinder schliefen.
Die wissenschaftliche Gemeinschaft solidarisierte sich mit Ihnen. Gefährdet der Fall aber nicht doch Ihre Karriere?
Zurzeit ist das nicht erkennbar. Ich werde weiter auf Kongresse eingeladen. Das Positive an dieser schrecklichen Geschichte ist die Erkenntnis, dass für die Forschergemeinde kritische Wissenschaft dazugehört. Die Frage ist aber, wie sich das Verfahren auswirkt, wenn es um eine Stelle geht, die auch mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Googelt man heute meinen Namen, dann kommen leider Dutzende von Einträgen zur Fallbeschreibung Andrej H. und dann erst meine wissenschaftliche Arbeit. Das ist keine gute Referenz für Bewerbungen. Deshalb ist unser Interesse an meiner vollständigen Rehabilitierung groß.
In dem offenen Brief der Forscher hieß es, der Paragraf 129a erlaubt es, jeden kritischen Wissenschaftler zu kriminalisieren. Warum traf es ausgerechnet Sie?
Das wüsste ich auch gerne. Aus der Sicht meiner Anwälte war es ein Konstrukt, das die drastische Einschränkung meiner Persönlichkeitsrechte und die Verhaftung nicht rechtfertigte. Dieser Betrachtung hat sich der Bundesgerichtshof angeschlossen. Das Ermittlungsverfahren wurde seit September 2006 gegen mich und drei weitere Beschuldigte geführt. Die Ausweitung des Verfahrens auf die drei in Brandenburg Festgenommenen erfolgte nach zwei angeblich konspirativen Treffen mit einem von denen im Frühjahr. Die Bundesanwaltschaft sah ein ,außergewöhnlich hochkonspiratives Verhalten’ in einer anonymen Verabredung per E-Mail und zwei Treffen ohne Handys für jeweils eine Stunde.
Ohne Handys – das war kein Zufall?
Nein, der Versuch sich vor Überwachungen staatlicher Behörden zu schützen gehört leider zu einer notwendigen Praxis von vielen. In der Vorbereitungszeit zu Protesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm versuchte auch ich aktiv meine Persönlichkeitsrechte zu wahren.
Das war alles?
Ja. Ich dürfte wie Tausende andere auch in das Fadenkreuz der Ermittler geraten sein, weil ich mich politisch engagiere in ganz konkreten sozialen Konflikten und für eine veränderte Gesellschaft.
Die Fragen stellte Ralf Schönball.
Andrej Holm (37) wurde wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet. Gestern verneinte der Bundesgerichtshof den dringenden Tatverdacht.