BGH hebt Haftbefehl gegen Berliner Soziologen auf
BERLIN. Der Berliner Soziologe Andrej H., der unter Terrorismusverdacht
steht, hat einen Teilerfolg errungen. Der 36-Jährige bleibt nicht nur
auf freiem Fuß. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob gestern
zudem den Haftbefehl gegen den Wissenschaftler der Humboldt-Universität
auf. Eine Wahrscheinlichkeit, dass H. Mitglied einer terroristischen
Vereinigung war, könne zurzeit nicht bejaht werden, befand der
Staatsschutzsenat in seinem Beschluss.
H. wird verdächtigt, der linksradikalen Organisation "militante gruppe"
(mg) anzugehören, die von der Bundesanwaltschaft als terroristisch
eingestuft worden war. Der mg werden 25 Brandanschläge auf Fahrzeuge und
Gebäude im Raum Berlin/Brandenburg zur Last gelegt. Die
Bundesanwaltschaft hält die mg für Feierabendterroristen, die nach außen
ein geregeltes Leben führen und abends Anschläge verüben.
Ihren Verdacht gegen H. stützten die Ermittler vornehmlich auf von ihnen
als konspirativ bewertete Kontakte zwischen den Verdächtigen, etwa dass
sie sich mit Spitznamen anredeten oder dass sie bei Treffen kein Handy
dabeihatten. Auch Ähnlichkeiten zwischen Bekennerschreiben der mg und
Veröffentlichungen der Verdächtigen wurden als Beleg für eine
Mitgliedschaft in der Gruppe gewertet.
Dies ging dem Bundesgerichtshof allerdings zu weit. Die Ermittlungen
belegten zwar die Einbindung des Beschuldigten in die
linksextremistische Berliner Szene und begründeten einen
Anfangsverdacht. Konspirative Kontakte zu Mitgliedern einer
extremistischen Gruppe aber reichen den Richtern für einen Haftbefehl
nicht aus: Die "aufgedeckten Indizien sprechen nicht hinreichend
deutlich für eine mitgliedschaftliche Einbindung des Beschuldigten in
die "militante Gruppe", sondern lassen sich ebenso gut in anderer Weise
interpretieren". Damit sah der BGH den für einen Haftbefehl nötigen
dringenden Tatverdacht als nicht nachgewiesen an und hob ihn auf.
Verteidiger Volker Ratzmann, zugleich Grünen-Fraktionschef im Berliner
Abgeordnetenhaus, sieht sich in seiner Haltung bestätigt. "Die
Ermittlungen stützen sich auf ein nicht begründbares Konstrukt", sagte
er der Berliner Zeitung. Zudem habe der BGH deutlich gemacht, dass nicht
jeder, der sich konspirativ verhalte, sich auch verdächtig mache.
Ratzmann kündigte an, dass er die Einstellung des Verfahrens gegen
seinen Mandanten beantragen werde.
Der Jurist hält zudem die Klarstellungen des Gerichts angesichts der
politischen Debatte über die Terrorismusbekämpfung für wichtig. "Für den
Umgang mit radikalpolitischen Aktivitäten und die Ausrichtung der
Inneren Sicherheit ist der Beschluss bedeutend", so Ratzmann. Er
bedauerte aber, dass der BGH sich nicht zur Anwendbarkeit des Paragrafen
129a, mit dem terroristische Organisationen verboten werden, auf die mg
geäußert habe. Der FDP-Innenpolitiker Max Stadler hob hervor, dass die
Bundesrichter zu Recht ausreichend Beweise für einen Haftbefehl verlangten.