BGH hebt Haftbefehl gegen Soziologen wegen Terrorismusverdacht auf
Die Generalbundesanwaltschaft hatte gegen ihn wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der "militanten gruppe" (mg) nach dem Paragraphen 129a des Strafgesetzbuches am 1. August Haftbefehl beantragt. Am selben Tag waren auch drei mutmaßliche Mitglieder der "militanten gruppe" in Brandenburg verhaftet worden, die Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge ausgeführt haben sollen.
Wissenschaftler aus aller Welt hatten gegen die Ìnhaftierung des Soziologen protestiert. Kritisiert wurden vor allem die fragwürdigen Begründungen. Beispielsweise soll der Soziologe einige Begriffe gebraucht haben, die auch in den Schriften der "mg" aufgetaucht sind. Das wurde durch Internetrecherchen herausgefunden.
Am 22. August wurde Andrej H. aus der Untersuchungshaft entlassen, die Bundesanwaltschaft hat gegen die Haftverschonung Einspruch eingelegt, der nun vor dem Bundesgerichtshof verhandelt wurde. Anfangs hieß es, dass der Bundesgerichtshof sich für die Entscheidung Zeit lassen würde, um anhand des Falls grundsätzlich zu prüfen, was den Tatbestand einer terroristische Vereinigung ausmacht und unter welchen Bedingungen eine Person als mutmaßliches Mitglied deswegen in Haft genommen werden kann.
In der Entscheidung habe man sich angesichts der Ermittlungslage allerdings gar nicht mit der Frage befassen müssen, teilte der 3. Strafsenat mit, ob es sich bei der "mg" um eine terroristische Vereinigung handelt. Die Indizien sprächen "nicht hinreichend deutlich für eine mitgliedschaftliche Einbindung des Beschuldigten in die "militante gruppe", sondern lassen sich ebenso gut in anderer Weise interpretieren". Der Haftbefehl gegen Andrej H. könne schon deswegen nicht aufrechterhalten werden. Belegt sei zwar die Einbindung des Soziologen in die "linksextremistische Berliner Szene", er habe auch bei einer Veröffentlichung der linksradikalen Zeitschrift "radikal" mitgewirkt und stehe in Kontakt mit einem der anderen drei Mitbeschuldigten, der eines "versuchten Brandanschlags" verdächtigt wird. Ein Haftbefehl würde aber nur dann gegen einen Verdächtigen erlassen werden, "wenn die große Wahrscheinlichkeit besteht, dass er der ihm vorgeworfenen Tat schuldig ist und deswegen verurteilt werden wird". Das sei bei Andrej H. nicht der Fall.
Mit der Entscheidung legt der Strafsenat der Generalbundesanwaltschaft auch höhere Hürden für Maßnahmen im Rahmen von §129a-Ermittlungen auf, der den Strafverfolgungsbehörden großen Spielraum auch bei dürftiger Beweislage ermöglicht. Seit Einführung des Terrorismusparagraphen vor 30 Jahren wurden laut den Angaben von Ralf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte 3.300 Ermittlungsverfahren gegen zehntausend Personen eingeleitet. Nur bei 6 Prozent der Ermittlungsverfahren kam es überhaupt zur Erhebung einer Anklage.
Wie es sich unter Bedingungen lebt, als Terrorist verdächtigt und unter Beobachtung gestellt zu werden, schildert die Freundin von Andrej H. seit einigen Wochen in ihrem Blog Annalist. (fr/Telepolis)