BGH hebt Haftbefehl gegen Berliner Soziologen auf

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs besteht zwar Anlass zu Ermittlungen gegen den Wissenschaftler Andrej H., der nach bisherigen Erkenntnissen in die linksextremistische Berliner Szene eingebunden sei. Ein "dringender Tatverdacht", der für einen Haftbefehl erforderlich ist, liege aber nicht vor.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Haftbefehl gegen den Berliner Soziologen Andrej H. aufgehoben, dem eine Mitgliedschaft in der linksextremen „militanten gruppe“ (mg) vorgeworfen wird. Nach einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss besteht zwar Anlass zu Ermittlungen gegen den Wissenschaftler. Ein „dringender Tatverdacht“, der für einen Haftbefehl erforderlich ist, liege aber nicht vor. Der 36-Jährige ist schon seit Ende August auf freiem Fuß. Sein Haftbefehl war gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt worden. Der BGH steht zudem möglicherweise vor einer Grundsatzentscheidung zur Einstufung extremistischer Aktivitäten als Terrorismus.

Der Soziologe war mit drei anderen Verdächtigen aus Berlin verhaftet worden. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen Mitgliedschaft in der linksextremistischen „militanten gruppe“ vor, die für zahlreiche Brandanschläge verantwortlich gemacht wird.

Der Wissenschaftler sei nach bisherigen Erkenntnissen in die linksextremistische Berliner Szene eingebunden, unter anderem bei der Veröffentlichung der Szenezeitschrift „radikal“, hieß es am Mittwoch beim BGH. Auch soll er konspirative Kontakte zu mindestens einem Mitbeschuldigten unterhalten haben.

Anwälte fordern Einstellung des Verfahrens

Einer der Anwälte des Soziologen, Volker Ratzmann, sagte, durch die Entscheidung habe sich bestätigt, dass die Vorwürfe gegen den Soziologen „haltlos und konstruiert“ seien. Die Anwälte wollten nun die Einstellung des Verfahrens beantragen, erklärte Ratzmann, der auch Fraktionsvorsitzender der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus ist. Durch die BGH-Entscheidung sei klar, dass auch die Haftbefehle gegen die anderen Verdächtigen aufgehoben werden müssten.

Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, sprach von einer „Ohrfeige für die Bundesanwaltschaft“. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Frank Henkel, respektiert den Beschluss des BGH. „Das Jubelgeschrei der politisch Linken kommt jedoch zu früh“, sagte Henkel. Er wirft Volker Ratzmann vor, in seiner Doppelfunktion als Anwalt und Fraktionschef „politisch Stimmung für seinen Mandanten zu machen“. Die Linke und ein Sprecher des „Bündnisses für die Einstellung des 129a-Verfahrens“ begrüßten die Entscheidung des Bundesgerichtshofes.

Die drei weiteren mutmaßlichen mg-Mitglieder waren Ende Juli beim Versuch festgenommen worden, auf dem Gelände der Firma MAN in Brandenburg/Havel drei Bundeswehrlastwagen anzuzünden. Damals erwirkte die Bundesanwaltschaft erstmals Haftbefehle gegen die bisher im Verborgenen agierenden Gruppierung. Seit 2001 hat sich die mg zu mehr als zwei Dutzend militanter Aktionen vor allem im Raum Berlin bekannt. Dabei handelt es sich vorwiegend um Brandanschläge auf Behörden und Fahrzeuge, Menschen sind bisher nicht verletzt worden. Nach Erkenntnissen der Ermittler soll der 36-jährige Soziologe die Bekennerschreiben verfasst haben.

Handelt es sich um eine terroristische Vereinigung?

In seiner Entscheidung ließ der 3. Strafsenat ausdrücklich die Frage offen, „ob es sich bei der „militanten Gruppe“ nach den Maßstäben der einschlägigen Strafvorschrift tatsächlich um eine terroristische Vereinigung handelt“ (Az: StB 34/07 – Beschluss vom 18. Oktober 2007). Mit diesem unter Juristen umstrittenen Thema könnte sich der BGH in etwa drei Wochen befassen. Dann will das Gericht laut einem Sprecher über die Beschwerden dreier weiterer mutmaßlicher mg-Mitglieder gegen ihre Inhaftierung entscheiden.

Unter Juristen ist umstritten, ob Brandstiftungen und Sachbeschädigungen mit „politischer“ Zielrichtung schon für den Vorwurf einer terroristischen Vereinigung ausreichen. Nach einer Änderung des Terrorismusparagrafen 129 a Strafgesetzbuch müssten solche Straftaten dazu bestimmt sein, die Grundstrukturen eines Staates „zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen“.

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