BGH hebt Haftbefehl gegen Berliner Soziologen auf
Der Staatsschutzsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe hob den Haftbefehl gegen den Wissenschaftler komplett auf. Ein "dringender Tatverdacht" bestehe derzeit nicht, hieß es in dem heute veröffentlichten Beschluss zur Begründung. Es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass Andrej H. sich in einer "terroristischen Vereinigung" als Mitglied beteiligt habe. Damit stellte sich der BGH gegen die Auffassung der Bundesanwaltschaft.
Dem an der Humboldt-Universität beschäftigten Soziologen wird vorgeworfen, sich in der Organisation "militante gruppe" (mg) als Mitglied beteiligt zu haben. Die "mg" wird von der Bundesanwaltschaft als linksterroristische Gruppierung eingestuft. Ihr wird eine Serie von Brandanschlägen der vergangenen Jahre überwiegend in Berlin und Brandenburg zugerechnet. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen den Sozialwissenschaftler wegen "Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung".
Schon vor Wochen freigelassen
Der Beschuldigte war bereits vor zwei Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen worden, nachdem der Ermittlungsrichter des BGH den Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt hatte. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Bundesanwaltschaft wies nun der 3. Strafsenat des BGH zurück. Zugleich kippten die Bundesrichter den Haftbefehl gänzlich.
Laut BGH belegen die bisherigen Ermittlungen "zwar die Einbindung des Beschuldigten in die linksextremistische Berliner Szene". Die für einen Haftbefehl notwendige "große Wahrscheinlichkeit", dass er sich an einer terroristischen Vereinigung als Mitglied beteiligt hat, könne aber "zurzeit nicht bejaht werden". Die in den bisherigen Ermittlungen aufgedeckten Indizien sprächen "nicht hinreichend deutlich für eine mitgliedschaftliche Einbindung des Beschuldigten in die 'militante gruppe'". Die Indizien ließen sich "ebenso gut in anderer Weise interpretieren", betonte der Staatsschutzsenat. Die Ermittlungen belegen laut BGH zwar die "konspirativ angelegten Kontakte" des Soziologen zu zumindest einem Mitbeschuldigten. Dieser soll als "mg"-Mitglied am 31. Juli an einem versuchten Brandanschlag auf drei Lkw der Bundeswehr beteiligt gewesen sein. Belegt sei auch die Mitwirkung von Andrej H. bei der Veröffentlichung der letzten Ausgaben der aus dem Untergrund publizierten Szenezeitschrift "radikal".
Indizien nicht ausreichend
All dies begründe zwar "den Anfangsverdacht", dass Andrej H. selbst dieser Gruppierung angehöre. Deshalb würden gegen ihn "mit Recht" Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden geführt, betonte der BGH. Ein Haftbefehl dürfe aber nur dann erlassen werden, wenn ein Beschuldigter einer Straftat dringend verdächtig sei. Dies sei derzeit nicht der Fall. Der 3. Strafsenat ließ zudem offen, ob es sich bei der "militanten gruppe" tatsächlich um eine terroristische Vereinigung handelt. Damit habe man sich bei dieser Entscheidung nicht befassen müssen, hieß es.
Andrej H. war am 1. August mit drei weiteren mutmaßlichen Linksextremisten festgenommen worden. Der gegen den promovierten Soziologen erlassene Haftbefehl wurde am 22. August gegen eine Kautionszahlung und verschiedene Auflagen außer Vollzug gesetzt. Der Terrorismus-Vorwurf gegen den Forscher hatte bei Wissenschaftlern weltweit für Proteste gesorgt.