Den Angriff auf den §129a ins Zentrum rücken
Zum Ermittlungsverfahren wegen vermeintlicher "mg"-Mitgliedschaft
Die Linke ist wieder einmal mit einem 129a-Verfahren konfrontiert. Ende Juli wurden vier Personen verhaftet: Drei sollen versucht haben, Bundeswehrfahrzeuge in Brand zu setzen. Die vierte Person, der Soziologe Andrej H., soll für das Schreiben von Kommuniqués zu vorhergehenden Anschlägen verantwortlich gewesen sein. In allen Fällen geht es um den Verdacht der Mitgliedschaft in der - von BAW und Ermittlungsrichter beim BGH als "terroristisch" eingestuften - "militanten gruppe". Andrej wurde inzwischen gegen Kaution freigelassen. Dies ist aber kein Grund zur Entwarnung: Gegen Andrej und die drei noch Inhaftierten wird weiterhin - genauso wie gegen drei weitere Beschuldigte, die (bisher) nicht inhaftiert wurden - nach §129a StGB ermittelt.
In den letzten Wochen hat sich in der Linken eine genauso starke wie pauschale Rhetorik in Bezug auf die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft (BAW) durchgesetzt. Auch der ak hatte sich daran beteiligt. Die Anwendung des §129a StGB auf diesen Fall sei "unhaltbar", und die dem zu Grunde liegenden "Konstruktionen" seien "absurd". (ak 519) Kritisiert wird nicht der zu Grunde liegende Paragraf und seine Anwendung, sondern es wird behauptet, dass eben jener Paragraf hier gar nicht zur Anwendung kommen dürfte.
Keine falschen Schlussfolgerungen ziehen
Positiver Bezugspunkt ist dabei das Kriterium des Gesetzes, nach dem Terrorismus nur vorliegt, wenn es zu einer erheblichen Schädigung des Staates kommen solle (und kommen kann). Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Damit wird eine Gesinnungsjustiznorm, die die politische Motivation der Tat offen zum Anknüpfungspunkt der (erhöhten) Strafe macht, zum Bezugspunkt der Argumentation der Verteidigung und der Soli-Arbeit.
Für viele, die sich in der Soli-Arbeit und der Soli-Berichterstattung engagieren, stellt sich die Lage so dar: Wenn die Vorwürfe gegen Andrej H. brüchig würden, wird das ganze 129a-Konstrukt brüchig. Gehofft wird: Wenn sich der Vorwurf gegen Andrej H., die Anschlagserklärungen der "mg" geschrieben zu haben, ausräumen lässt, dann gibt es erstens auch im Falle der drei Personen, denen die versuchte Brandstiftung vorgeworfen wird, keine Verbindung zur "mg" mehr und zweitens komme dann auch in deren Fall die Anwendung des §129a nicht mehr in Betracht. Eine Kritik am 129a wäre dann in der Tat überflüssig.
Auch im ak wurde implizit so argumentiert. Die Schlussfolgerung ist wirklich spielend leicht zu ziehen: Wenn die ganze Konstruktion nur an zwei angeblich konspirativen Treffen zwischen Andrej und Florian hängt, dann muss nur Andrej aus dem Spiel sein und das ganze Konstrukt bricht zusammen.
Doch dieses Kalkül beruht auf einer selektiven Wahrnehmung des bisher bekannten Sachverhalts und kann - entgegen allen gut gemeinten Absichten - in einem strategischen Desaster enden, und deshalb wäre es dringend notwendig, die Argumentationsstrategie von Verteidigung und Soli-Arbeit zu überdenken und zu verändern. Die Behauptung der BAW, der versuchte Brandanschlag vom 31. Juli weise "hinsichtlich des Anschlagsziels, der Tatzeit und der konkreten Tatausführung eine Vielzahl von Parallelen zu Anschlägen der terroristischen Vereinigung ,militante gruppe (mg)` in der Vergangenheit auf" (BAW-Presseerklärung, 1.8.07), wurde im ak mit dem Satz, "Mehr hat sie (die BAW) nicht zu bieten", abgetan.
Den §129a grundlegend in Frage stellen
Man kann natürlich - durchaus von bestimmten Erfahrungen gesättigt - von der Hypothese ausgehen: "Die lügen." Eine fundierte Verteidigungsstrategie müsste aber vielmehr mindestens von dem fast worst-case-Szenario ausgehen: "Vielleicht lügen sie ausnahmsweise mal nicht." Falls die BAW an diesem Punkt tatsächlich etwas in der Hand hat, dann wäre nämlich die ganze eingangs skizzierte Verteidigungsstrategie auf Sand gebaut und würde früher oder später kläglich zusammenbrechen. Die umgekehrte Strategie wäre doch viel sicherer: Sich jetzt auf "bisher hat die BAW keine Beweise präsentiert" zu beschränken, und später dann aufzutrumpfen, wenn sie auch im Prozess nichts in den Händen hat, als schon jetzt laut "unhaltbar" und "absurd" zu tönen - und sich dann später vielleicht doch kleinlaut korrigieren zu müssen, dass es einiges gibt. Das, was die Verteidigung im Moment macht, beinhaltet doch das hohe Risiko, am Ende gegenüber Gericht, Öffentlichkeit und BündnispartnerInnen als völlig unglaubwürdig dazustehen!
1) Die laut tönende Rhetorik von "absurd" und "unhaltbar" in Bezug auf die von der BAW behauptete "mg"-Mitgliedschaft der drei "Brandenburger" sollte m.E. schleunigst zurückgefahren werden. Vielmehr ist in Bezug auf jene Behauptung der BAW juristische und kriminalistische Kleinarbeit erforderlich, die einer etwaigen Indizienkette der BAW konkrete Einwände (auf der Ebene von kriminaltechnischen Gutachten etc.) und den liberalen Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" entgegenhält.
Und weil wir uns 2) nicht sicher sein können, wie ein solcher Indizien-Streit über eine "mg"-Mitgliedschaft der drei "Brandenburger" ausgeht und auch ohnehin politisch etwas fragwürdig ist (was ja auch noch passieren kann: Vielleicht wollen die drei sich ja gar nicht von der "mg" distanzieren), muss der politische und verfassungsrechtliche Angriff auf den §129a im Zentrum von Solidaritätsarbeit und Verteidigung stehen. Und dafür stehen die Chancen im Prinzip nicht schlecht, wenn denn die Verteidigung bereit wäre, eine Modifizierung ihrer Argumentation vorzunehmen: Denn es ist gerade das "den Staat erheblich Schädigen"-Kriterium des neugefassten §129a, auf das sich die Verteidigung bisher positiv bezieht, um den Terrorismus-Vorwurf abzuwehren, an dem der Gesinnungsjustiz-Charakter der Neufassung des §129a viel deutlicher wird als an der alten.
Was versucht werden sollte ist, den §129a und den EU-Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung (der ähnlich formuliert ist), anhand dieses Staatsfeindlichkeits-Kriteriums wegen Verstoßes gegen Art. 3 III (sowie 4 und 5 I, II) GG bzw. Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu kippen. Alle diese Vorschriften besagen, dass eine Benachteiligung wegen politischer oder sonstiger Anschauung strikt (d.h.: diese Grundrechte sind auch nicht durch Gesetz einschränkbar) verboten ist. Genau eine solche Benachteiligung stellt aber sowohl das an den §129a geknüpfte Sonderverfahrens- und Sonderermittlungsrecht als auch das in bestimmten Fällen gegenüber nicht als terroristisch klassifizierten Taten erhöhte Strafmaß dar, wenn dort die Angriffsrichtung "politische, verfassungsrechtliche, wirtschaftliche oder soziale Grundstrukturen eines Staates" zum Anknüpfungspunkt gemacht wird. Paragraphenamazone
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