Der Innenminister warnt: Lesen gefährdet die Innere Sicherheit
Nachdem die Wohnungen von Andrej H. und drei weiteren Beschuldigten am 31. Juli in Berlin durchsucht worden waren, wurde Andrej H. in Haft genommen. Wenige Stunden zuvor waren bereits Axel H., Florian L. und Oliver R. nach einem versuchten Brandanschlag in Brandenburg an der Havel festgenommen worden. Doch anstatt wegen versuchter Brandstiftung gegen die drei zu ermitteln, wird die versuchte Sachbeschädigung an Fahrzeugen der Bundeswehr nun zu "Terrorismus" umgedeutet.
Zwei angeblich "konspirative Treffen" zwischen Andrej H. und Florian H. müssen dafür herhalten. Für die BAW reichen sie, um mit Hilfe des §129a aus den sieben "Mitglieder einer terroristischen Vereinigung" zu machen und den versuchten Brandanschlag in Brandenburg der "militanten gruppe" ("mg") zuzuordnen. Aber wo ist die Verbindung? In der Logik der BAW ganz einfach: Sie unterstellen Andrej H. und den drei Berliner Beschuldigten eine "intellektuelle Täterschaft". Die Begründung: Sie können Bibliotheken benutzen und haben bestimmte Begriffe wie "Gentrifizierung" in Texten verwendet. Zudem hätten sich die vier im Studium oder bei der Promotion die intellektuellen Fähigkeiten angeeignet, "die vergleichsweise anspruchsvollen" Texte der "mg" zu verfassen.
Wie bei den §129a-Verfahren vom 9. Mai geht der Staatsschutz also davon aus, dass die einen Anschläge verüben, während andere Urheber der Planungen und der Verlautbarungen sind. Das ist jedoch nicht die einzige Parallele. Die jetzigen Verhaftungen zeigen erneut, wie der Ausforschungsparagraf 129a verwendet wird, um kritische Zusammenhänge einzuschüchtern und Meinungen zu kriminalisieren. Deshalb stehen sie ganz offensichtlich in einer Linie mit der Razzia gegen Gruppen, die an der Vorbereitung der Proteste gegen den G8 beteiligt waren, sowie mit den Durchsuchungen in Bad Oldesloe und Strausberg kurz nach dem G8.
Die Anwendung des §129a StGB auf diesen Fall ist nicht nur unhaltbar - sie zeigt auch, wie der Vorwurf "Terrorismus" benutzt wird, um gegen unliebsame Kritik an Staat und Gesellschaft vorzugehen. Sollten die Strafverfolgungsbehörden mit ihren Unterstellungen, Zirkelschlüssen und Verdrehungen durchkommen, wäre zukünftig niemand davor geschützt, wenn andere sich aus seinen Texten bedienen. Jede/r InhaberIn eines Bibliotheksausweises wäre verdächtig. Wer sich in seiner Stadt diskutierend im linken Milieu bewegt, begibt sich in die Gefahr der Kontaktschuld.
Die Konstruktionen des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Bundesanwaltschaft sind absurd - oder wie es der Wissenschaftliche Beirat von attac nannte: "eine Beleidigung für den gesunden Menschenverstand". Doch unter den herrschenden Verhältnissen und den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Inneren Sicherheit sind sie weit mehr: Sie sind ein weiterer Schritt von Schäuble & Co auf dem Weg zur "gezielten Tötung" von "Terroristen", zur Internierung von politischen GegnerInnen und jetzt laut Bundesanwaltschaft wohl auch für die Einführung von "Gesinnungstests" als Zulassungsvoraussetzung für Bibliotheken und Universitäten. Damit nicht in ein paar Jahren an jeder Bibliothek das Warnschild mit der Aufschrift prangt "Der Innenminister warnt: Lesen gefährdet die Innere Sicherheit", gilt es jetzt, den staatlichen Einschüchterungsmaßnahmen gemeinsam entgegenzutreten. Freiheit für Oliver, Florian, Axel und Andrej! Solidarität mit den Gefangenen vom 31. Juli 2007! Abschaffung von §129a ff.!