Terroristen gesucht

Bewerben Sie sich jetzt: Zu den Sonderaktionswochen des Bundeskriminalamtes/BKA und des Bundesamtes für Verfassungsschutz/BfV Von Wolf Wetzel

Anfang August kam Dr. Andrej H., Soziologe von der Berliner Humboldt-Universität, für drei Wochen in Untersuchungshaft. Die Generalbundesanwaltschaft beschuldigt ihn der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a des Strafgesetzbuches. Namentlich geht es um die militante gruppe (mg), der 25 Brandanschläge zugeschrieben werden, u.a. auf Polizeifahrzeuge, einen Supermarkt und das Institut für Wirtschaftsforschung. Drei weitere Personen wurden in derselben Sache Ende Juli inhaftiert und sitzen bis heute unter verschärften Haftbedingungen ein.

Mehrere werden darüber hinaus wie Andrej H. einer Art intellektuellen Täterschaft bezichtigt, darunter Dr. Matthias B., Politologe aus Leipzig. Die Verdachtsmomente gründen auf akademischen Fähigkeiten, die es brauchte, um die anspruchsvollen bis schwer verständlichen »Erklärungen« der mg zu verfassen. Der Zugang zu Bibliotheken gilt als belastend, vermeintliche Übereinstimmungen in »Schlagwörtern und Phrasen« mit den Bekennerschreiben wurden ermittelt.

Daß die Beschuldigten nicht nur die Kompetenz zur Darstellung komplexer Zusammenhänge besitzen, sondern auch Mitglieder der mg seien, ergebe sich aus ihrem »konspirativen Verhalten«. Den gekonnten Umgang mit den Regeln der Konspirativität machen die Ermittlungsbehörden daran fest, daß an Handys überwachter Personen Treffen vereinbart bzw. bestätigt wurden, ohne (den Lauschern) Ort, Zeit und Intention mitzuteilen.

Diese nicht ganz so akademische, eher gefühlte Definition von Terrorismus aus einer Addition von Nähe zu anderen Beschuldigten, intransparentem Habitus und »anschlagsrelevanten Themen« ist nicht neu.

Harsch reagierten namhafte Zeitungen: Während die FAZ am 17.8. noch fragte: »Phrasen als Indizien?«, stellte die Frankfurter Rundschau am 31.8. nur noch fest: »Neun Wörter – ein Terrorverdacht«.

Die Initiative Orwell goes Future (OgF) schlägt folgenden Maßnahmekatalog vor, um das verlorengegangene Vertrauen zurückzugewinnen, die Lücke zwischen dissidenter Verfassungstheorie und bewährter Rechts­praxis zu schließen.

OgF rät

In vielen Branchen unserer boomenden Wirtschaft wird der Fachkräftemangel beklagt. Aber auch im Bereich »Linksterrorismus« beobachten die zuständigen Behörden seit Jahren Nachwuchssorgen. Die Nachfrage übersteigt deutlich das Angebot. Aus diesem Grund schlagen wir dem Bundeskriminalamt und dem Amt für Verfassungsschutz eine gemeinsame Anwerbeoffensive vor.

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Sie suchen die Herausforderung, wollen sich verändern, sind mit Ihrer jetzigen akademischen Tätigkeit unzufrieden, fühlen sich schlicht unterfordert?

Ihnen fehlt der Praxisbezug! Sie wollen aus dem intellektuellen Elfenbeinturm springen, mitten ins spannende, deregulierte Leben.

Sie glauben nicht mehr an die intellektuelle Avantgarde, die bestenfalls gegen Studiengebühren protestiert? Sie finden Ihre Kollegen langweilig und blasiert?

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Wir suchen ab sofort unbefristet Terroristen im akademischen Bereich (auch als Neben- und Freizeittätigkeit möglich)

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Passen Sie sich schnell neuen, globalen Herausforderungen an? Behalten auch in Extremsituationen den Überblick und die Nerven?

Reizen Sie Grenzbereiche und Grauzonen?

Wollen Sie sich jetzt Ihren Traum erfüllen, Privates und Politisches mit dem Beruflichen zu verknüpfen?

Wie werden Sie bei uns Terrorist?

Wir wissen um den ungeheuren Erwartungs- und Fahndungsdruck, der auf den letzten Generationen von Terroristen lastete. Sie waren strapaziösen Mehrfachbelastungen ausgesetzt, mußten ihr bürgerliches Leben aufgeben, absolvierten zahlreiche terrorismusspezifische Ausbildungen, arbeiteten an einer radikalen Gesellschaftskritik und nachts, trugen ein hohes persönliches und kollektives Risiko. Das Image des Elitären, des Spezialistentums, des Übermenschlichen haftete ihnen an.

Mit unserem neuen, niedrigschwelligen Einsteigerprogramm wollen wir gewährleisten, daß in und für die Zukunft mehr Menschen Terroristen werden können. Zum Abbau der Schwellenängste haben wir unser Anforderungsprofil drastisch gesenkt.

Ab sofort werden bei einer akademischen Ausbildung keine weiteren Fortbildungsmaßnahmen verlangt. Auch die Planung und Durchführung von Anschlägen gehört nicht länger zu Ihrem Aufgabengebiet.

Wir erwarten von Ihnen nicht, daß Sie etwas tun, sondern daß man es Ihnen zutraut.

Checkliste

Wir haben für Sie eine Checkliste zusammengestellt. Gehen Sie diese in Ruhe durch. Wenn Sie am Ende 80 Prozent der Anforderungen mit »Ja« beantwortet haben, sind Sie unser Kandidat.

Berufliche Voraussetzungen:

1. Sie haben einen Hochschulabschluß?
2. Sie haben bereits eine akademische Abhandlung geschrieben/publiziert?
3. Ihnen sind Fremdwörter wie »Gentrifizierung«, »Reproduktion«, »politische Klasse« geläufig?
4. Sie beherrschen weitere im akademischen Diskurs gängige Schlagwörter und Phrasen?
5. Sie haben freien Zugang zu Bibliotheken?

Leistungskriterien:

1. Sie zählen sich zur »kritischen Wissenschaft«?
2. Sie haben Kontakt zu linken Aktivisten?
3. Sie pflegen auch Kontakte zu nichtakademischen Kreisen?
4. Sie bewegen sich souverän in »globalisierungskritischen« Milieus?
5. Sie scheuen nicht den Kontakt zu Personen, die etwa gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm protestierten?
6. Sie können Ihr Handy auch mal zu Hause lassen, beherrschen die Regeln konspirativen Umgehens also intuitiv?

Wenn dieses Anforderungsprofil auf Sie zutrifft, dann bewerben Sie sich jetzt!

In absentia (aller Rechtsgarantien).

Am Sonntag, 11 Uhr, gibt es in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, ein Podium zum Thema: »Ist jetzt alles Terrorismus? Die politische Dimension des Paragraphen 129a«.

Rechtsanwältin Christina Clemm informiert über den Stand des Verfahrens in Berlin, ihr Kollege Rolf Gössner und der Professor Roland Roth verdeutlichen die Auswirkungen von 129a in der Theorie, der Politaktivist Fritz Storim tut das für die Praxis