Bewegung. Debattistische Vereinigung gegen § 129a

In der Volksbühne bestärken sich Menschenrechtler, Rechtsanwälte und Betroffene in ihrer Kritik an der Bundesanwaltschaft. Die nutze den Strafgesetzbuchparagrafen 129 a als Dietrich in linke Zusammenhänge. VON PETER NOWAK

Der große Saal der Volksbühne war gut gefüllt. Doch was die rund 500 ZuschauerInnen am Sonntagvormittag geboten bekamen, war kein Theater, sondern das reale Leben. Unter dem Titel "Ist jetzt alles Terrorismus?" diskutierten die Rechtsanwältin Christina Klemm, der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, das Gründungsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Roland Roth, und der Physiker Fritz Storim über die politische Dimension des Paragraphen 129 a, der die Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen unter Strafe stellt.

Hintergrund der Veranstaltung ist die Festnahme des Stadtsoziologen Andrej H. am 31. Juli. Dem Mandanten von Christina Klemm wurde vorgeworfen, Mitglied der militanten gruppe (mg) zu sein. Wenige Stunden zuvor waren in Brandenburg an der Havel drei Männer beim Versuch erwischt worden, Militärfahrzeuge in Brand zu setzen. Die mg hatte sich in den vergangenen Jahren zu einer Vielzahl von Brandanschlägen, vor allem auf Fahrzeuge, bekannt.

Ihren Verdacht gegen H. hatte die Bundesanwaltschaft damit begründet, dass der Soziologe in seinen Publikationen Begriffe verwandt habe, die auch in Erklärungen der mg auftauchten. Zudem habe er als Wissenschaftler Zugang zu Bibliotheken, wo er Recherchen für die nach Einschätzung der Ermittler intellektuell anspruchsvollen mg-Erklärungen getätigt haben könnte.

Andrej H. kam in Untersuchungshaft und erhielt erst nach drei Wochen gegen strenge Meldeauflagen Haftverschonung. Dagegen legte die Bundesanwaltschaft Beschwerde ein, über die der Bundesgerichtshof demnächst entscheiden wird.

Davon könnte laut Clemm nicht nur die Frage abhängen, ob Andrej H. wieder ins Gefängnis muss, sondern auch, ob gegen die drei anderen Inhaftierten weiter nach Paragraf 129 a oder nur noch wegen versuchter Brandstiftung ermittelt werden kann.

Florian L., einer der drei Inhaftierten, bezeichnete in einem kurzen Brief an die TeilnehmerInnen der Veranstaltung seine derzeitige Unterbringung als Isolationshaft. Zudem rief er zu einem "kreativen Bündnis gegen Überwachung, Vereinzelung und Kriminalisierung linker Bewegungen" auf.

Das war auch das Anliegen von Rolf Gössner, der seinen Vortrag mit der Anrede "Liebe Intellektuelle - liebe potenzielle Terroristen" begann. Der Bürgerrechtler bezeichnete den Paragrafen 129 a "als Dietrich, mit dem der Staat in linke Zusammenhänge eindringt". Er müsse zusammen mit der gesamten Antiterror-Gesetzgebung einschließlich der Notstandsgesetze abgeschafft werden, forderte Gössner unter großem Applaus. Dem schloss sich auch Roland Roth vom Komitee für Grundrechte und Demokratie an.

Fritz Storim, der sich als "politsch aktiver Physiker und Philosoph" vorstellte, gehört zu den 18 Personen, die im Vorfeld der G-8-Proteste in Heiligendamm von Hausdurchsuchungen betroffen waren. Weil Forschungsmaterial noch immer bei der Polizei liege, sei die von ihm geleitete Bremer Messstelle für Arbeits- und Umweltgefahren praktisch lahmgelegt, berichtete Storim. Er plädierte für eine offensive Verteidigungsstrategie, aber gegen eine Unschuldskampagne. "Wir sind schuldig, weil wir uns mit den herrschenden Verhältnissen nicht abfinden wollen und eine andere Gesellschaft wollen", rief er unter großem Applaus.

Nach der überraschend gut besuchten Demonstration gegen Überwachung im Internet am vorvergangenen Wochenende zeigt nach Meinung vieler TeilnehmerInnen, auch die Diskussion in der Volksbühne, dass der Widerspruch gegen die Sicherheitspolitik der Bundesregierung wachse.