»Von 129a nicht abschrecken lassen«

Verfahren gegen angebliche »mg«-Mitglieder gehen weiter. Drei Verdächtige weiter in Haft. Ein Gespräch mit Christina Clemm. Christina Clemm ist Fachanwältin für Strafrecht in Berlin

Sie vertreten den Soziologen Andrej H., gegen den wegen angeblicher Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« (mg) nach Paragraph 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) ermittelt wird. Wie ist der aktuelle Stand?

Die Ermittlungen laufen weiter. Drei Personen sind weiterhin in Untersuchungshaft, mein Mandant ist von der Untersuchungshaft verschont worden. Anhängig sind zur Zeit eine Beschwerde der Bundesanwaltschaft gegen die Haftverschonung meines Mandanten, als auch Beschwerden der Verteidiger gegen die Untersuchungshaft der weiteren drei Personen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat angekündigt, hierüber ab dem 5. Oktober entscheiden zu wollen.

Andrej H. und den drei weiteren Beschuldigten wird vorgeworfen, daß ihre wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen Begriffe enthalten würden, die auch in Bekennerschreiben der »mg« zu finden seien ...

Es gäbe sicherlich viele Personen, die dann nach Paragraph 129a StGB verfolgt werden könnten. Bei meinem Mandanten hat ja schon die Verwendung des Begriffs »gentrification« ausgereicht, um ihn verdächtig zu machen.

Sehen Sie überhaupt ernsthafte Ansatzpunkte, die Ermittlungen nach Paragraph 129a rechtfertigen?

Nein.

Also dient der Paragraph einzig der Kriminalisierung und gezielten Ausforschung linker Aktivisten?

So wird er zur Zeit gehandhabt und angewendet. Der BGH hat nun aber angekündigt, sich grundsätzlich mit den Voraussetzungen des Paragraphen 129a StGB auseinandersetzen zu wollen, und ich gehe davon aus, daß dann entschieden werden wird, daß die Aktivitäten, die der »mg« zugerechnet werden, nicht strafbar im Sinne dieses Paragraphen sind. Dies hätte selbstverständlich dann auch auf zahlreiche andere Verfahren Auswirkungen, die in den letzten Jahren eingeleitet wurden und zu unzähligen Überwachungsmaßnahmen geführt haben.

Ist absehbar, wann es zu einer Gerichtsverhandlung kommen wird?

Nein, es gibt auch noch keine Anklageschrift, und ich kann mir weiterhin nicht vorstellen, wie eine solche aussehen könnte.

Inwiefern kann man die kriminalisierten Personen unterstützen?

Öffentlichkeitsarbeit und Solidarität sind natürlich sehr hilfreich. Wichtig ist aber sicherlich auch, sich trotz dieser Kriminalisierung nicht davon abschrecken zu lassen, sich weiterhin kritisch und öffentlich zu äußern und politisch aktiv zu sein.

Interview: Markus Bernhardt

Sonntag, 30. September, 11 Uhr, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin-Mitte: »Ist jetzt alles Terrorismus? – Die politische Dimension des Paragraphen 129a«, Infoveranstaltung u.a. mit Christina Clemm, Rolf Gössner