Mutmaßungen und Misserfolge

Ermittlungsbehörden schlagen wahllos zu, um Erfolge in Sachen "mg" zu fabrizieren

Wer weiß, vielleicht gab es in der Nacht zum 31. Juli Sekt irgendwo in einer Einsatzzentrale des Bundeskriminalamtes (BKA). Der Druck war jedenfalls enorm, endlich Ermittlungserfolge in Sachen "militante gruppe" ("mg") vorzulegen. Seit sechs Jahren stochern die Ermittlungsbehörden in Sachen "mg" im Nebel; mehrere angebliche Ermittlungserfolge, gezielte Indiskretionen und "Exekutivmaßnahmen" gegen angebliche "mg"-Militante fielen dem BKA auf die Füße. Mit abenteuerlichen Konstruktionen nach einer versuchten Brandstiftung soll jetzt die Scharte ausgewetzt werden.


"Eine Gruppe, die der Polizei zuletzt erhebliche Probleme bereitete", nannte die Frankfurter Rundschau die "militante gruppe" nach den Festnahmen von Andrej H., Axel. H., Florian J. und Oliver R. am 31. Juli. (FR, 4.8.07) Worin diese "erheblichen Probleme" bestehen, verdeutlicht die Äußerung eines ungenannten Verfassungsschützers gegenüber der Springer-Zeitung Die Welt: "Momentan gibt es noch sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, wer sich hinter der ,mg` verbirgt." Offen gibt er zu: "Wir wissen nicht, ob es eine fest gefügte Organisation ist oder eine mehr oder minder lose Gruppierung", um dann den Offenbarungseid zu leisten: "Jetzt kommt hoffentlich Licht ins Dunkel." (Die Welt, 3.8.07)

Beim BKA ist man ähnlich ratlos: "Diese Gruppe geistert teilweise als Phantom durch unsere Ermittlungsarbeit", zitierte die Welt am nächsten Tag einen BKA-Beamten. Und auch hier Ernüchterung: "Die Festgenommenen schweigen bislang zu allen Vorwürfen. Es sieht nicht so aus, als würde sich das alsbald ändern." Mit den Worten der Welt: "Damit hat die Hoffnung der Behörden, nach sechs Jahren Fahndung endlich mehr über die bislang kaum bekannte Gruppe zu erfahren, einen ersten Dämpfer erhalten." (Die Welt, 4.8.07)

Davon abgesehen, ob die vier überhaupt etwas zum Sachverhalt beitragen könnten (siehe nebenstehenden Artikel), bleibt festzuhalten: Die Ermittlungsbehörden, ebenso wie der Verfassungsschutz (VS), haben bislang "kaum" (s.o.) Erkenntnisse zu und über die "mg". Nichtsdestotrotz und im krassen Gegensatz dazu wird die "mg" zur neuen Terrorgruppe aufgebaut und werden linke AktivistInnen in diesem Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren überzogen.

Rund 20 Brandanschläge vor allem im Raum Berlin-Brandenburg müssten - laut taz - der "mg" zugerechnet werden. (taz, 3.8.07) Zum ersten Mal trat sie im Juni 2001 durch die Verschickung von scharfen Patronen an Mitglieder der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft" in Erscheinung. Zudem propagiert die "mg" in einer seit Ende 2001 geführten sogenannten Militanzdebatte die Vernetzung militanter Gruppen, weshalb sie sich - so das Verdikt des VS - "im Grenzbereich des Terrorismus" bewege.

BKA: Ein Phantom in unserer Ermittlungsarbeit

"Auf Bundesebene ... gehört die MG bereits seit einiger Zeit mit zu den Themen interner Gesprächsrunden zwischen der Generalbundesanwaltschaft, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundeskriminalamt", meldete der Berliner Tagesspiegel bereits ein Jahr, nachdem die "mg" aktiv geworden war. (Tagesspiegel, 15.5.02) Wie viele Ermittlungsverfahren aus diesen "internen Gesprächsrunden" entstanden sind, ist unklar. Durch eine Focus-Story im November 2003 wurde jedoch bekannt, dass gegen vier Berliner in Sachen "mg" ermittelt wird. "BKA enttarnt angebliche Extremisten" (Berliner Zeitung), "Feierabend-Terroristen auf der Spur" (Die Welt) oder "BKA kreist Militante ein" (Berliner Kurier), so lauteten die entsprechenden Meldung damals. (vgl. ak 478) Am 9. Mai, bei den Razzien im Vorfeld des G8, setzte man nach. Bei drei der vier Beschuldigten kam es zu Hausdurchsuchungen. Festnahmen erfolgten bekanntlich keine.

Auch im sogenannten Magdeburger §129a-Verfahren spielte die "mg" eine Rolle. Der VS Berlin feierte in seinem Jahresbericht 2002 die Festnahme von Magdeburger Aktivisten im November 2002, denen diverse Brandanschläge vorgeworfen wurden, als "erste Exekutivmaßnahme gegen eine der an der Militanzdebatte beteiligten Gruppierungen". Die Ermittlungsbehörden witterten ihre Chance, um den großen Schlag gegen die an der Militanzdebatte beteiligten Gruppen führen zu können - vielleicht bis hin zur "mg". Doch am Ende blieb davon nichts übrig. Bereits in der Anklage musste für das "Zusammenwirken" in einer "militanten Offensive" eine "Pressemitteilung" der "mg" zu den Verhaftungen in Magdeburg als Indiz für einen "engen Kontakt" und die gegenseitige Bezugnahme in Anschlagserklärungen herhalten. Im Prozess spielte dieser Aspekt dann gar keine Rolle mehr. (vgl. ak 477)

Und so wird munter weiter ermittelt und das Schreckgespenst des "Linksterrorismus" an die Wand gemalt - wie verlogen und schief die Argumente auch immer sein mögen. Die Bedrohung durch "Links- und Rechtsextremismus" sei in Deutschland etwa gleich stark, behauptete etwa der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl. "Sieht man sich im Verfassungsschutzbericht 2006 die Zahlen an, dann hält es sich grob gesagt die Waage." (Kölner Stadt-Anzeiger, 3.8.07)

Nach Angaben der taz rechtfertigte die Bundesanwaltschaft die Einstufung der "mg" als "terroristische Vereinigung" im aktuellen Verfahren damit, dass sich bei einem Anschlag auf das Polizeipräsidium in Berlin-Tempelhof zur Tatzeit auch Menschen in dem Gebäude aufhielten. (taz, 3.8.07) Augen zu und durch, gilt auch beim VS. "Mir ist auch klar, dass man bei dem Begriff Terrorismus eher an die Morde der RAF und die Anschläge von Islamisten denkt als an Brandanschläge auf Autos", räumt ein Verfassungsschützer ein. Weil aber nicht sein kann, was nicht sein darf, flüchtet er sich in den Konjunktiv: Vor allem die von der "mg" geführte Militanzdebatte belege, wie "extrem gewalttätig und gefährlich" die Gruppe sei, die "noch eine ganz andere Qualität der Gewalt an den Tag legen" würde, "wenn sie die Mittel (dazu) hätte." (Die Welt, 4.8.07) Wie gesagt, der Druck ist hoch, endlich "Erfolge" zu liefern.

mb.