"Militante Gruppen"
Ende Juli, ein Bundeswehr-Depot in Brandenburg. Bereits verwischt, die Spuren eines versuchten nächtlichen Brandanschlages auf drei LKW. Die Polizei, offenbar gewarnt, ertappte drei Täter auf frischer Tat – laut Generalbundesanwaltschaft Mitglieder einer, wie sie sich selber nennen, "militanten Gruppe", einer terroristischen Vereinigung.
Am nächsten Tag die Verhaftung des Berliner Stadtsoziologen Andrej. H., bis vor kurzem wissenschaftlicher Mitarbeiter der Humboldt-Universität. Ein Jahr lang war er observiert worden, soll einen der Täter zwei Mal getroffen, die Gruppe sogar zu ihren Taten inspiriert haben.
Volker Ratzmann, Rechtsanwalt:
"Der Vorwurf ist, dass mein Mandant die Argumente geliefert haben soll, die die militante Gruppe wiederum benutzt hat, um ihre Handlungen, die zum Teil kriminelle Handlungen waren, zu rechtfertigen und zu begründen, sogenannte Bekennerschreiben abzufassen. Das ist der Vorwurf."
An der Humboldt-Universität Protest gegen die Kriminalisierung kritischer Wissenschaft mit Hilfe des seit Jahren umstrittenen § 129a. Mit ihm wird die Gründung, Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung streng bestraft. Dass Andrej H. zu den Hintermännern der militanten Gruppe gehören, einer ihrer Rädelsführer sein soll, mag hier niemand glauben. Der renommierte Städteforscher Helmut Häußermann hat keinen Zweifel an der Unschuld seines ehemaligen Mitarbeiters. Der Zugriff der Polizei ist für Andrej H. ein Schock.
Hartmut Häußermann - ehemaliger Doktorvater von Andrej H.:
"Das hat er sicher nicht so schnell verarbeitet, wenn man morgens um sieben wie ein schwer bewaffneter Terrorist in seiner eigenen Wohnung von 15 bewaffneten Polizisten verhaftet wird, das ist ja nun nicht alltäglich. Und dann mit Hubschrauber und Handschellen wie ein Terrorist durch die Republik geflogen usw. Das sind schon sehr harte Bedingungen, ohne dass man weiß, warum eigentlich, was soll das alles? Er hat gesagt, er hat das anfangs für einen Scherz gehalten. Er musste das Lachen unterdrücken, bis er kapiert hat, in welch schwierige Situation er kommt."
Seit 2001 gehen dutzende von Brandanschlägen auf Firmen und staatliche Einrichtungen in und außerhalb Berlins auf das Konto der "Militanten Gruppe". Ihr "antiimperialistischer Kampf", verkündet sie, hat als "politisch-militärisches Endziel", die "kommunistische Weltgesellschaft".
Andrej Hs. Studien zur Umwandlung von Arbeitervierteln in Szenequartiere, die Verdrängung, Gentrification, von Alt durch Jung, Arm durch Reich, das Wachsen eines Prekariats, sollen sich in Bekennerschreiben der Militanten niedergeschlagen haben. Deshalb der dringende Verdacht der Karlsruher Ermittler, Andrej H. sei Mitglied der Gruppe.
Hartmut Häußermann:
"Das ist der Hammer. Wenn man immer nachfragt, kriegt man eigentlich nichts, wo man sagt, aha, das könnte einen Verdacht rechtfertigen, das könnte die Ermittlungsbehörde doch ermutigt haben, in dieser Richtung tätig zu werden. Aber man findet nichts, nichts, nichts. Und das ist das Dramatische."
Das Bundeskriminalamt soll durch Recherchen im Internet auf "Beweise" gegen Andrej H. gestoßen sein. Eine unter Experten allerdings umstrittene Schlagwortsuche habe wörtliche Übereinstimmungen zwischen den Texten des Soziologen und den Erklärungen der militanten Gruppe ergeben. Der 129a als antiterroristischer Gummiparagraf.
Wie vor 27 Jahren, als der Abdruck von Erklärungen der "Revolutionären Zellen" in der Zeitschrift "radikal" zwei Berliner Journalisten zum Verhängnis wurde. Ihre Haftstrafe wurde 1984 jedoch vom Bundesgerichtshof aufgehoben.
Ulrich K. Preuß - Verfassungsrechtler:
"Man muss irgendwo auch, und da hat man als Generalbundesanwältin auch eine gewisse Verantwortung, man hat ja einen Eid auf die Verfassung geschworen, eine Verantwortung, deutlich machen, dass die Kriterien für die Strafbarkeit andere sind, als die Kriterien einer normalen Alltagszurechnung von Plausibilität, wo man sagt, der hat sich mit dem und dem regelmäßig getroffen, hat sich gedanklich ausgetauscht, am Ende haben sie irgendwo da einen Brandsatz gelegt, ist doch klar, alles irgendwie ein Mischpoke. Aber so geht es nicht, so kann man nicht Strafrecht betreiben, jedenfalls nicht in einem Rechtsstaat."
Schon das Bundeskriminalamt fand, so ein internes Gutachten seines kriminaltechnischen Instituts im April bei einem "Abgleich" der Texte von Militanter Gruppe und Wissenschaftler, keine Hinweise auf Tatzusammenhänge.
Die Generalbundesanwältin sollte es nicht nur im Falle Andrej. H. gründlich lesen, wenn sie über weitere Ermittlungen entscheidet.
Autor: Benedict Maria Mülder