Bundesgerichtshof braucht Terrordefinition
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat angekündigt, Anfang Oktober über die Anwendung des Terrorparagraphen 129 a des Strafgesetzbuches zu urteilen. Die Richter vertagten damit eine für vergangene Woche erwartete Entscheidung über die Haftverschonung des Berliner Soziologen Andrej H. Wie seine Anwältin Christina Clemm am Donnerstag mitteilte, müsse sich das Gericht zunächst »grundsätzlich mit den Voraussetzungen der Annahme eines dringenden Tatverdachts nach Paragraph 129 a« auseinandersetzen. Die Bundesanwaltschaft hatte Beschwerde gegen die Freilassung des Wissenschaftlers eingelegt. Ihm und sechs weiteren Männern wird die Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung«, namentlich der »Militanten Gruppe« (mg), vorgeworfen.
Der BGH muß nun darüber entscheiden, ob die »mg« als »terroristisch« eingestuft werden kann. Nach Paragraph 129 a können zwar Brandanschläge und andere sogenannte »gemeingefährliche Straftaten« als Terrorismus verfolgt werden. Seit der Änderung des Paragraphen im Jahr 2002 müssen diese Taten jedoch dazu bestimmt sein, »die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern« oder politische und soziale Grundstrukturen des Staates »zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen«. Die vermeintlichen Aktionen der »mg« haben sich bisher auf Sachbeschädigung ohne Gefährdung von Menschen beschränkt. Zudem liegen trotz umfassender Überwachung keine Beweise für die Beschuldigungen vor.
Wolfgang Kaleck, einer der Anwälte der sieben Verdächtigten, wies erneut auf die Absurdidät der Beweisführung des Bundeskriminalamtes (BKA) hin. Gegenüber der Frankfurter Rundschau (Freitagausgabe) sagte er, »auf diese Weise könnte man auch Karl Marx unter Terrorverdacht stellen«. Die Fahnder waren durch eine Internetrecherche auf vier Männer aufmerksam geworden. In von ihnen veröffentlichten Texten seien Worte wie »Reproduktion«, »implodieren«, »politische Praxis« und »marxistisch-leninistisch« vorgekommen, so Kaleck, die sich auch in Bekennerschreiben der »mg« finden. Das BKA ist auch nach den Verhaftungen Anfang August nicht untätig geblieben. Wie der Ermittlungsausschuß (EA) Berlin mitteilte, kam es zu mehreren Versuchen der Beamten, Menschen aus dem Umfeld der Beschuldigten zu Zeugenaussagen zu bewegen. Bisher sei aber nicht auf die Vorladungen reagiert worden. »Das muß auch niemand«, betont der EA. »Auch das BKA ist nur eine Polizeibehörde, bei der niemand Aussagen machen muß.« Trotzdem rät er, die »ZeugInnengruppe« (030/6922222) zu kontaktieren, sollte es zu Vorladungen kommen.
Für Mittwoch ist eine weitere Kundgebung vor dem Gefängnis in Berlin-Moabit geplant, wo die Verdächtigten Florian L., Axel H. und Oliver R. seit knapp fünf Wochen in Untersuchungshaft sitzen. Daß Knastkundgebungen von Bedeutung für die Kriminalisierten sind, zeigt ein Schreiben von Andrej H., in dem er sich für die Unterstützung bedankt: »Jedes Zeichen von draußen« hätte ihm gezeigt, daß er mit seiner »Ohnmacht gegenüber den Ermittlungsbehörden nicht allein gelassen werde«. Für ihn und seine Familie sei ein »Teilerfolg« erreicht worden. »Bis zur endgültigen Einstellung der Verfahren jedoch liegt noch ein weiter Weg vor uns.«